"Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ – dieses Lied gehört zu den Klassikern unter den Kirchenliedern und wird zur Advents- und Weihnachtszeit tausendfach in den Gottesdiensten landauf, landab gesungen. Dr. Susanne Schenk, theologische Referentin des württembergischen Landesbischofs Ernst-Wilhelm Gohl, erklärt, was es mit dem Lied auf sich hat.
„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit…“ Das Lied, das wie ein Fanfarenstoß die Adventszeit eröffnet, wird dieses Jahr 400 Jahre alt. Georg Weissel (1590–1635) dichtete es im Advent 1623 zur Einweihung der Altroßgärter Kirche in Königsberg (heute Kaliningrad), wo er als junger evangelischer Pfarrer seinen Dienst antrat. Von der Stadt an der Pregel breitete es sich aus in viele Länder, Sprachen und Konfessionen. Seine vertraute Melodie ist einige Jahrzehnte jünger, sie findet sich zum ersten Mal im Freylinghausenschen Gesangbuch von 1704 und gibt Weissels Worten einen Klang, der durch die Jahrhunderte hindurch Alt und Jung anspricht. Auch über den Advent hinaus: Im Kindergartenalter wünschten sich meine Kinder „Macht hoch die Tür“ ab dem 1. Advent fast jeden Abend als Gute-Nacht-Lied – bis in die Osterzeit.
Viele kennen das Lied zumindest in Teilen auswendig. Und nicht wenigen geht es dann so wie mir damals abends an den Kinderbetten: Wir stocken beim Refrain am Ende der Strophen – mit der einzigen pausenartig langen Note im ganzen Stück gibt die Melodie diesem Innehalten Raum: Welcher Schlussvers kommt jetzt, der Schöpfer groß von Rat oder der Heiland groß von Tat, oder war es umgekehrt? In einfacher Sprache und ohne Scheu vor Wortwiederholungen schuf Weissel, der bald zum Königsberger Dichterkreis der „Kürbishütte“ gehörte, ein Lied von einzigartigem Strophenbau und vielfältigem Sprachklang.
Inspirieren ließ der Dichter sich von dem Psalm der Adventszeit: Angefangen beim wiederholten Ruf „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch“ prägt Psalm 24 Motivik und Aufbau von Weissels Lied. Wie im Psalm das Kommen des Herrn und der Weg der Menschen einander gegenüberstehen und aufeinander zuführen, so singt das Lied von Gottes – adventlich ersehntem – Kommen in die Welt und verschränkt es mit dem inneren Weg der Glaubenden.
„… es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ Das einst von Rittern des Deutschen Ordens gegründete Königsberg kannte sich aus mit pompösen Fürstenparaden. Wenn der Herzog sich in seiner Residenzstadt ankündigte oder gar dessen Lehnsherr, der polnische König, dann wurden die Stadttore aufgetan und das rundbogige Einfahrtstor des Renaissanceschlosses weit geöffnet. Die Leute von Königsberg hatten den Klang der Fanfaren im Ohr, der den Einzug der Kutschen begleitete; sie kannten die Insignien der Macht aus eigener Anschauung – Gefährt, Krone, Szepter, von denen auch das Adventslied singt. Doch anders als im Lied reimte sich in ihrer Erfahrung die Trias der Macht nur selten mit Sanftmütigkeit, Heiligkeit und Barmherzigkeit.
1623 herrschte schon seit vier Jahren wieder Krieg in Europa. Die Kämpfe Fürstentum gegen Fürstentum im Namen der Religion waren zwar noch weit entfernt von den 30 Jahren, die sie letztlich dauern sollten, aber von der Not, die sie brachten, war auch in Königsberg schon zu hören. Ein „König aller Königreich“, der „all unsre Not zum End“ bringt, das war vor dem Hintergrund der Zeit eine aktuell treffende Hoffnungsperspektive. Mit deutlicher Betonung singt das Königsberger Lied: O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat. Durch ihren beschwingten Dreiertakt, der Schlachtrosse zum Tanzen bringen könnte, führt die Freylinghausensche Melodie das Kontrastprogramm des adventlich erwarteten Königs klingend fort.
Das Königsbild als solches wirkt heute fremd. Doch die Sehnsucht nach einer Welt ohne Terror und Krieg ist im Advent 2023 nicht weniger aktuell als vor 400 Jahren. Ebenso die Hoffnung auf ein gesellschaftliches Miteinander, in dem Gerechtigkeit herrscht und Solidarität an der Tagesordnung ist – wie es der „Heiland aller Welt zugleich“ verheißt, der „gerecht“ ist und ein „Helfer wert“.
„Meins Herzenstür dir offen ist“. Das große Weltgeschehen und das Herz des einzelnen Menschen sind im Lied klingend aufeinander bezogen. Die Dynamik, die die Welt verändern wird, beginnt schon heute dort, wo Herzen sich öffnen. Und wo das Heil in den Kosmos einzieht, da wird es in den Herzen warm und licht: „Er ist die rechte Freudensonn, bringt mit sich lauter Freud und Wonn“. Die Melodie lässt das klanglich erleben: Hell bewegt sie sich über dem Grundton, ohne diesen auch nur einmal zu unterschreiten; die Vielzahl der Terzen verleiht ihr Wärme. So spricht das 400 Jahre alte Adventslied auch heute viele Menschen an – im Dunkel des Dezembers, in der Kälte der Zeit oder eben auch am Abend. Wie ein klanggewordenes Adventslicht.
Dr. Susanne Schenk
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