Dass Gemeinden mit langer reformierter Tradition in eine lutherische Landeskirche integriert werden, ist alles andere als selbstverständlich. Wie kam es in Württemberg dazu?
Am 4. September 1699 hatte der württembergische Herzog Eberhard Ludwig seine Bereitschaft erklärt, ungefähr 2.200 um ihres reformierten Glaubens willen aus dem Piemont Vertriebenen eine neue Heimat zu geben. Diesen Waldensern – wie auch aus Frankreich nach Württemberg geflohenen Hugenotten – gestand der Herzog in Privilegien zu, ihre religiösen Angelegenheiten „jetzt und künftig“ selbstständig, d. h. unabhängig vom lutherischen Konsistorium, zu regeln.
Allerdings stellte sich die Lage der Waldensergemeinden 100 Jahre nach ihrer Gründung als schwierig dar. So wurde 1796 in einem Bericht herausgestellt, dass in den Gemeinden im Blick auf den Schulunterricht ein untragbarer Zustand herrsche: Die zu Hause Alpenprovençalisch sprechenden Kinder könnten dem französisch gehaltenen Schulunterricht, der lediglich anhand der Bibel und des Katechismus erteilt werde, nur mühsam folgen; Rechnen werde gar nicht gelehrt. Vorgeschlagen wurde, Deutsch als Unterrichtssprache zu verwenden. Allerdings verweigerten sich die Waldenser dieser Anregung.
Änderungen „von oben“ verordnet
Ein erster Schritt zur Änderung der Verhältnisse war 1809 die Bestellung eines Dekans für die reformierten Gemeinden. Der vom König ernannte Jean Anhäuser sollte die Pfarrer und Schulen visitieren und dafür sorgen, dass sukzessive die deutsche Sprache nicht nur im Schulunterricht, sondern auch in den Gottesdiensten eingeführt wird. Doch die Gemeinden beriefen sich auf ihre Privilegien und widersetzten sich.
Als verschiedene weitere Initiativen zu Verbesserung der Lage in den Waldensergemeinden gescheitert waren – z.B. Zulagen zur Pfarrbesoldung gegen Verzicht auf das Wahlrecht –, schlug Anhäuser 1821 vor, der König selbst möge auf einer Vereinigung der reformierten Gemeinden mit der lutherischen Landeskirche bestehen und einen „Weg der Strenge“ einschlagen. Man solle den Gemeindegliedern davon gar nichts sagen. Der Dekan setzte also auf Veränderungen, die von oben angeordnet wurden, und zielte darauf ab, die in der reformierten Tradition übliche Partizipation der Laien weitgehend auszuschalten.
Im Januar 1823 wurde schließlich eine letzte Synode der reformierten Gemeinden einberufen, die letztlich unter subtilem Druck die zentralen Forderungen – deutsche Sprache, Verzicht auf das Wahlrecht – akzeptierte. Im Vereinigungsdekret vom 7. September war bestimmt, dass der Gebrauch der französischen Sprache im Gottesdienst noch einige Zeit in Ausnahmefällen erlaubt bleiben sollte und dass auch die traditionelle Form der Abendmahlsfeier beibehalten werden durfte. Nach dem überraschenden Tod Anhäusers 1824 wurden die Gemeinden umgehend den jeweiligen lutherischen Dekanen unterstellt und sukzessive dann auch von Pfarrern der Landeskirche versorgt.
Prof. Dr. Siegfried Hermle