Vor 100 Jahren wurde der Lutherische Weltkonvent gegründet. Damit wurde ein Forum der Begegnung und des Austausches geschaffen, das das Zusammenhörigkeitsgefühl des weltweiten Luthertums förderte. Eine wesentliche Initiative zu dem Treffen ging vom Nationalen Lutherischen Rat in den USA aus. Weitere Wurzeln lassen sich in der Allgemeinen Evangelisch-lutherischen Konferenz, einem Zusammenschluss von Theologen und Laien aus den deutschen lutherischen Landes- und Freikirchen, und in der lutherischen Zusammenarbeit in Skandinavien finden.
Als Versammlungsort wurde Eisenach ausgewählt – einen für die lutherische Welt geschichtsträchtigen Ort. In Eisenach hatte sich Martin Luther nach dem Reichstag von Worms auf der Wartburg versteckt und das Neue Testament übersetzt. Für den deutschen Kontext war zudem bedeutend, dass mit der Ortswahl die erste internationale kirchliche Veranstaltung auf deutschem Boden nach dem 1. Weltkrieg stattfand.
Zum Lutherischen Weltkonvent kamen vom 19. bis 24. August 1923 144 Teilnehmende zusammen. Kirchen und Missionsgesellschaften aus 22 Ländern waren vertreten, vor allem aus Nordamerika, Europa sowie einigen sogenannten jungen Kirchen. Die Versammelten wollten so die Verbundenheit innerhalb des weltweiten Luthertums stärken und nach gemeinsamen Antworten suchen bei Fragen nach der Rolle des lutherischen Bekenntnisses, dem ökumenischen Charakter des Luthertums und der gegenseitigen Unterstützung in der Diaspora und Mission – alles Themenfelder, die 1947 auch für die Gründung des Lutherischen Weltbundes entscheidend waren.
Ursprünglich war der Weltkonvent in Eisenach als einmalige Zusammenkunft geplant, doch in den Referaten, Gottesdiensten und Redebeiträgen wurde immer wieder deutlich, dass weitere Treffen gewünscht waren. Entsprechend wurde ein Exekutivkomitee berufen, das die Geschäfte führen und die Organisation leiten sollte. Ihm gehörten zwei Amerikaner, zwei Deutsche und zwei Skandinavier an. Eine Vertretung der kleinen Diasporakirchen Europas war nicht vorgesehen, ebenso wenig wie die von Personen aus Lateinamerika, Afrika oder Asien, da die dortigen Kirchen damals meist noch nicht als selbständige Kirchen angesehen wurden. Darüber hinaus wurde ein größerer Ausschuss eingerichtet, der die Verbindung zwischen dem Exekutivkomitee und allen beteiligten Kirchen halten sollte. Mit diesen Gremien konnten die beiden nächsten Weltkonvente vorbereitet und durchgeführt werden: 1929 in Kopenhagen wurden die Arbeitsgrundsätze des Lutherischen Weltkonventes weiter präzisiert. Viele der dort verabschiedeten Leitgedanken für die Zusammenarbeit im weltweiten Luthertum (z. B. Föderationsprinzip, Autonomieprinzip der beteiligten Kirchen, Hilfe für lutherischen Kirchen in Not) wurden später auch für die Verfassung des Lutherischen Weltbundes wichtig. Der Dritte Lutherischen Weltkonvent 1936 in Paris war von den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und dem nationalsozialistischen Totalitarismus in Deutschland geprägt.
Insgesamt zeigt die Geschichte der Lutherischen Weltkonvente, dass bereits vom ersten Treffen an die Anwesenden mit der Frage zu ringen hatten, welchen Status und welche Verbindlichkeit dieses und zukünftige Treffen des weltweiten Luthertums haben sollten: unverbindliche Konferenz, freie Vereinigung oder fester Bund? Eine Frage, die das Luthertum noch lange begleiten sollte. Die Vertreter aus Deutschland und den skandinavischen Kirchen sprachen sich eher für eine lose Verbindung aus. Die Delegierten aus den USA bevorzugten ein Bundeskonzept nach dem Vorbild des Nationalen Lutherischen Rats in ihrem Land. Die Entwicklungen nach 1923 zeigen, dass sich der Wille durchsetzte, die Zusammenarbeit und Verbindlichkeit zu verfestigen. So gehörte zu den Beschlüssen in Paris die Einrichtung eines Generalsekretariats. Das in Paris neu besetzte Exekutivkomitee begann zudem mit der Erarbeitung einer Verfassung, die dem Weltkonvent auf einer Sitzung 1940 zur Verabschiedung hätte vorgelegt werden sollen. Dieser kam auf Grund des Zweiten Weltkrieges nicht zu Stande. Die Entwicklung ging also in Richtung eines internationalen Kirchenbundes im Sinne einer Bekenntnis-, Arbeits- und Lastenausgleichsgemeinschaft. 1947 konnte sich schließlich der Lutherische Weltbund als freie Vereinigung von Kirchen gründen und später zu einer Gemeinschaft von Kirchen weiterentwickeln. Er umfasst heute 149 Kirchen aus 99 Ländern, denen mehr als 77 Millionen Christinnen und Christen angehören. Das Deutsche Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes vertritt die elf deutschen Mitgliedskirchen des LWB und stellt deren Beteiligung an der Arbeit des LWB sicher.
Insgesamt bringt der frühere LWB-Generalsekretär Kurt Schmidt Claussen die Bedeutung des Lutherischen Weltkonvents treffend auf den Punkt: „Man wird die Behauptung wagen dürfen, dass es ohne die Erfahrungen und Impulse aus dem Weltkonvent nie einen Lutherischen Weltbund gegeben hätte.“
OKR Dr. Oliver Schuegraf (Deutsches Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes, DNK/LWB)