Für die Buchbranche sind die Büchermessen die Fixtermine im Jahr – das ist nicht nur heute so, sondern war auch schon vor 500 Jahren der Fall. Pünktlich zur Herbstmesse 1522, die vom 29. September bis 6. Oktober in Leipzig stattfand, sollte ein ganz besonderes Buch erscheinen: das Neue Testament ins Deutsche übersetzt von Martin Luther. Die Verleger waren Lucas Cranach und Christian Döring, gedruckt wurde das Werk von Melchior Lotter in Wittenberg.
Doch was war das Neue an dieser Bibelübersetzung? Eine Übersetzung in die Volkssprache? Nein, denn schon vor Luther sind 72 deutsche Übersetzungen biblischer Bücher bekannt. Auch im Druck waren Übersetzungen in verschiedenen deutschen Dialekten erschienen: beispielsweise die „Mentelin-Bibel“ (1466 bei Johannes Mentelin in Straßburg) auf Oberdeutsch oder die „Kölner Bibel“ (1478/79 bei Heinrich Quentell in Köln) auf Niederdeutsch.
Nachdem über Luther auf dem Reichstag zu Worms 1521 die Reichsacht verhängt worden war, ließ ihn Kurfürst Friedrich von Sachsen auf der Wartburg in Sicherheit bringen. Vor der Welt versteckt übersetzte Luther hier in elf Wochen das Neue Testament. Als erstes stand Luther vor der Frage, an welcher Sprachform er sich mit seiner Übersetzung orientieren sollte. Er wählte die sächsische Kanzleisprache, die als „Diplomatensprache der deutschen Fürsten“ in den Kanzleien verbreitet war.
Das „Dolmetschen“ oder „Verteutschen“ erschöpft sich nach Luthers Verständnis nicht im Übertragen der Wörter von der Ursprungssprache in die Zielsprache, sondern soll vor allem den Sinn der Texte wiedergeben. Dabei hatte Luther seine Gemeindemitglieder als Leser vor Augen – wie die Predigt ist die Bibelübersetzung auf die Vermittlung der „guten Nachricht“ angelegt und Teil seines theologischen Programms. Das zeigt sich z.B. an der Übersetzung „allein durch den Glauben“, hier hat Luther das „allein“ hinzugesetzt, um deutlich zu machen, „dass wir durch den Glauben an Christus ohne alle Werke des Gesetzes gerecht werden“.
Große Sorgfalt hat Luther auf eine verständliche Sprache verwand, so wählte er für die Bezeichnungen der Gegenstände die Namen, die der „gemeine Mann“ benutzte. Wenn es für einige Wörter keine deutschen Entsprechungen gab, erfand er sie. So sind bis heute „Lückenbüßer“, „Feuereifer“ oder „Machtwort“ im deutschen Wortschatz lebendig. Aber auch viele Redewendungen wie „auf Sand bauen“, „ein Licht aufgehen“ oder „Zähne zusammenbeißen“ benutzen wir bis heute.
Das Septembertestament ist aufwändig ausgestattet: das Titelblatt ist kalligraphisch gestaltet, jedes Kapitel beginnt mit einer großen Bildinitiale und am Rand der Textseiten stehen biblische Parallelstellen sowie theologische und sprachlichen Kommentare. Besonders reich ist die Offenbarung des Johannes mit 21 ganzseitigen Holzschnitten illustriert. Als Vorbild wählten Luther und Cranach den Apokalypse-Zyklus von Albrecht Dürer. Im Vergleich zu Dürers Stichen, die das Weltende dramatisch inszenieren, betonen die Schnitte des Septembertestaments den religiösen Verfall. Besonders deutlich wird dies an dem polemischen Holzschnitt mit der Darstellung der babylonischen Hure, die die päpstliche Tiara trägt.
Diese Ausstattung belegt, dass sich das Septembertestament nicht an den „gemeinen Mann“, sondern an Theologen, Gelehrte und wohlhabende Bürger richtete. Trotzdem waren die 3000 Exemplare so schnell verkauft, dass im Dezember des gleichen Jahres mit dem sogenannten „Dezembertestament“ eine zweite Auflage erschien. Ein großer Erfolg für den Reformator und seinen Verleger.