* 20. Januar 1903 in Unterheinriet † 20. August 1969 in Imperia (Ligurien)
Theodor Dipper, heute weithin vergessen, gehört zu den markantesten Persönlichkeiten der württembergischen Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts. Vorhersehbar war dies nicht.
Zunächst deutete alles auf eine mehr oder minder „normale“ kirchliche Karriere hin – beginnend mit dem Besuch der Seminare in Maulbronn und Blaubeuren, der Aufnahme in das Evangelische Stift während des Theologiestudiums an der Universität Tübingen, dem Antritt der ersten eigenständigen Pfarrstelle in Würtingen auf der Schwäbischen Alb am 23. Mai 1930 und der unmittelbar darauf erfolgenden Eheschließung mit Hildegard Gauß, der Tochter des Heilbronner Prälaten Karl Gauß.
Einen ungewöhnlichen Verlauf nahm das Leben Theodor Dippers erst, nachdem Adolf Hitler und mit ihm der Nationalsozialismus dank Wahlerfolgen, Geschick und Gewalt 1933 die politische Macht zu monopolisieren vermochte und konsequent darauf hinarbeitete, Politik, Gesellschaft und Kultur nach seinen eigenen – biologistischen-rassistischen – Ordnungsvorstellungen zu reorganisieren.
Binnen kurzem wurde deutlich, dass der Geltungs- und Gestaltungswille des 1933 gerade im protestantischen Sozialmilieu oft begeistert begrüßten Führers und des „neuen“ Staates auch vor der Kirche nicht Halt machen würden. Im Zeichen der neu geschaffenen – und ebenfalls anfänglich stürmisch begrüßten – Reichskirche, geführt von Hitlers Vertrautem, Reichsbischof Ludwig Müller, wurde vielmehr der Versuch unternommen, überkommene Traditionen hinwegzufegen, dem gesamten Protestantismus eine zentralistische Struktur aufzunötigen und über die Deutschen Christen neue Glaubensformen zu etablieren, die sich durch ihre Wahlverwandtschaft mit der NS-Ideologie auszeichneten.
Dementsprechend zeichnete sie das Bild eines heldischen Christentums, eines siegreich-arischen Christus´ und verwarf alles, insbesondere alttestamentliches Glaubensgut, das als unvereinbar mit „deutschen“ Werthaltungen galt.
Gegen diese Pervertierung der eigenen Tradition formierte sich der innerkirchliche Widerstand in Gestalt der Bekennenden Kirche, der sich auch die württembergische Landeskirche unter Theophil Wurm zugehörig wusste. Als Wurm im Mai 1934 nach Barmen reiste, gehörte Theodor Dipper zu seinen Begleitern.
Und wenn sich der württembergische Landesbischof in den Gleichschaltungsversuchen des Jahres 1934 behaupten konnte, dann vor allem deswegen, weil er sich auf die Loyalität der Mehrheit in Pfarrerschaft und Kirchenvolk verlassen konnte – und weil ihm in der von Theodor Dipper geführten Bekenntnisgemeinschaft ein verlässlicher Bündnispartner im Lande zur Seite stand.
Hier, an der Seite seines Landesbischofs, ihn unterstützend und ihn wohlwollend kritisierend, erwarb sich Theodor Dipper bleibende Verdienste für „seine“ Kirche. Sein persönlicher Einsatz war hoch: er wurde vielfach angefeindet, mehrfach von der Gestapo inhaftiert, aber auch schärfster Kritik von denjenigen ausgesetzt, denen sein auf Ausgleich bedachter Kurs gegenüber der württembergischen Kirchenleitung als zu moderat, zu nachgiebig erschein.
Auch mit Landesbischof Theophil Wurm sollte es 1938 schließlich zum Bruch kommen, bedingt durch kirchenpolitische Dissonanzen. Im gleichen Jahr bewarb sich Dipper um die Pfarrstelle in Reichenbach an der Fils, von wo aus er die Geschicke der Bekenntnisgemeinschaft weiterhin maßgeblich beeinflusste.
Aus seiner Reichenbacher Zeit wird eine Episode berichtet, die uns den Menschen Theodor Dipper erkennen lässt: „Der Pfarrer Dipper“, so erinnert sich ein Zeitzeuge, „war der verfressenste Pfarrer Reichenbachs, den es je gegeben hat. […] Er hat immer, wenn er auf Besuch kam und man hat ihm was angeboten, gesagt: Danke nein, aber ich nehm´ gern was mit. Da hat man ihm halt jedesmal ein Brot und ein paar Eier in die Tasche getan“.
Der Grund für dieses merkwürdige Verhalten war einfach: Dipper gewährte im Reichenbacher Pfarrhaus verfolgten Juden Unterkunft, er war zentraler Teil jener „Württembergischen Pfarrhauskette“, die unter Lebensgefahr zu helfen versuchte, wo es nur ging – eben auch mit Lebensmitteln.
Posthum, im Jahre 2008, sollte er für dieses Verhalten die ihm gebührende Ehrung erhalten, als ihm gemeinsam mit seiner Frau der Ehrentitel eines „Gerechten unter den Völkern“ von der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Ludwigsburg verliehen wurde.
1945 wurde Theodor Dipper zum Dekan von Nürtingen ernannt, 1959 folgte der Wechsel als Dekan nach Ludwigsburg. Auch in dieser Zeit seines Lebens brachte sich Dipper vorbehaltslos in das Ringen um den rechten Kurs der Kirche ein; zugleich warb er unermüdlich um ein adäquates Verständnis dafür, was ihm vom Evangelium her für die Gesellschaft nach dem Krieg geboten schien.
Erst 66 Jahre alt, erlag er am 20. August 1969 in Imperia, seinem italienischen Urlaubsort, einem Herzinfarkt.
Dr. Norbert Haag