Christian Dietrich musste sich immer wieder gegen Vorwürfe wehren: die einen sahen in ihm einen Schwärmer und Separatisten, die anderen einen engstirnigen Landeskirchler. Das Engagement der langjährigen Leiters des schwäbischen Altpietismus galt der Evangelisation, um Glauben zu wecken, der Gemeinschaftspflege, um die Kirche zu beleben, und in beiden Bereichen dem Einsatz von Laien. Am 22. Februar vor 100 Jahren ist er gestorben.
Geboren wurde Christian Dietrich am 8. April 1844 in Gschwend bei Gaildorf. Er wurde Lehrer und Rektor einer Schule in Stuttgart. 1897 wurde er Vorsitzender des Württembergischen Verbandes der altpietistischen Gemeinschaften. Es war eine geistlich sehr bewegte Zeit: Von England kam die Heiligungsbewegung, deren extreme Vertreter ein sündloses Leben für möglich hielten, und aus Amerika die Pfingstbewegung. Dietrich griff die biblisch begründeten Aspekte solcher Bewegungen auf, lehnte aber alles „Übertriebene“ ab und forderte eine christliche Nüchternheit. Von England kam gleichzeitig eine Evangelisationsbewegung, die Menschen erreichen wollte, die der Kirche entfremdet waren. Diese kamen dann häufig in „Freikirchen“, vor allem in methodistischen Gemeinden, zusammen. Dietrich förderte die Evangelisationen, wollte die Menschen jedoch in der Landeskirche, in der er zum Glauben gekommen war, halten. Daher der Vorwurf, er sei ein kirchenfreundlicher „Himmelreichbremßer“. Dass Christian Dietrich in all diesen Bewegungen auch positive Elemente sah, die er gerne für die Kirche fruchtbar machen wollte, stieß bei vielen in der Kirche auf Zurückhaltung und Ablehnung.
Dietrich baute die Altpietistische Gemeinschaft kräftig aus. Unter seiner Leitung wuchs sie auf 500 Gemeinschaften an; es wurden Gemeinschaftshäuser gebaut und hauptamtliche Gemeinschaftspfleger angestellt, die vor allem die Laientätigkeit fördern und sich möglichst entbehrlich machen sollten. Bei Schwäbisch Gmünd wurde der „Schönblick“ als Erholungs- und Tagungszentrum gebaut.
Dietrichs Liebe galt auch der äußeren Mission, vor allem der Basler Mission als „derjenigen Mission, deren Väter württembergische Gemeinschaftsmänner gewesen sind, und deren Missionare zu einem guten Teil aus württembergischen Gemeinschaften hervorgegangen sind“ - so Heinrich Dipper, der Direktor der Basler Mission, bei der Trauerfeier für den am 22. Februar 1919 verstorbenen Freund. Den Basler Indienmissionar Friedrich Braun berief Dietrich als Hausvater für den Schönblick. Zahlreiche Basler Missionare, die wegen des 1. Weltkrieges nach Deutschland zurückkommen mussten, wurden bei den Altpietisten als Mitarbeiter angestellt bis sie nach dem Krieg wieder ausreisen konnten.
Auch über die Grenzen Württembergs hinaus war Dietrich wirksam. Ab 1890 war er Geschäftsführer des „Deutschen Komitees für evangelische Gemeinschaftspflege“, dem späteren Deutschen Philadelphiaverein und heutigen Gnadauer Gemeinschaftsverband.
Jürgen Quack