Endzeiterwartungen und Zukunftsängste haben am 22. August 1819 zur Gründung der Brüdergemeinde Korntal geführt. Heute, 200 Jahre später, ist sie mit rund 1.400 Vollmitgliedern ein Teil der 20.000-Einwohner-Stadt Korntal-Münchingen und nach wie vor offen für Neues.
Damals rechnete man nach radikalen Umbrüchen in allen Bereichen mit dem bevorstehenden Weltuntergang. Fast alles, was Halt zu geben schien, war zerbrochen: das tausendjährige Deutsche Reich hatte ruhmlos geendet, Württemberg war kein einheitlich evangelischer Staat mehr, ein flacher Vernunftglaube gefährdete Glaubensgrundlagen und 1816, das „Jahr ohne Sommer“, führte zu Hungersnöten und so bisher nicht gekannten Herausforderungen. Zudem erwartete man für das Jahr 1836 den Jüngsten Tag – Aussagen des Biblizisten Johann Albrecht Bengel wurden so verstanden.
Immer mehr Menschen verließen die ihnen fremd gewordene württembergische Heimat, in der sie ihren Glauben nicht mehr leben konnten und wanderten aus - vor allem in Richtung Osten und Südosten. Die Auswanderung nahm solche Ausmaße an, dass die Regierung ernsthaft über den Verlust so vieler wertvoller Bürger beunruhigt wurde. Um sie dem Land zu erhalten, erlaubte König Wilhelm I. den Auswanderungswilligen schließlich doch eine eigene Siedlung innerhalb seines Königreiches. Auf dem Gebiet eines ehemaligen Gutshofes unweit von Stuttgart entstand so die heutige Brüdergemeinde.
Ihr sind in der Fundationsurkunde vom 22. August 1819 mehrere Vorrechte zugesichert, darunter das der freien Religionsausübung. Noch 1819 zogen 68 Familien – insgesamt etwa 300 Personen - nach Korntal. Als erstes erbauten sie sich den „Großen Saal“ für den Gottesdienst - dann erst Häuser.
Die anfangs oft herablassend-spöttisch als „Heiliges Korntal“ titulierte Brüdergemeinde ist rasch zu einem anerkannten und geachteten Gemeinwesen geworden. Bis heute wirkt es besonders mit Schulen und diakonischen Einrichtungen weit über den eigenen Bereich hinaus. Es wurde es zu einem Zentrum der evangelischen Mission weltweit und ein Gang über den Gottesacker ist wie ein Lehrbuch zur Weltmission.
Die Brüdergemeinde ist heute ein Teil der 20.000-Einwohner-Stadt Korntal-Münchingen. Ihr gehören derzeit rund 1.400 Vollmitglieder an und sie verzeichnet beständiges Wachstum. Ihre Arbeit finanziert sie mit Spenden, Vermögenserträgen und Vermächtnissen. Die Mitglieder zahlen keine Kirchensteuer, aber einen Beitrag, dessen Höhe sie selbst bestimmen.
Rechtlich ist die Brüdergemeinde ist eine völlig selbständige Freikirche. Sie hat ihr eigenes Profil: so verwendet sie etwa das Kirchengesangbuch mit einem eigenen Anhang und sie erprobt unbefangen neue kirchliche Formen. Von ihr sind manche Anregungen für Kirche und Gesellschaft ausgegangen. Sie ist aus Endzeiterwartungen hervor gegangen, aber nicht rückwärtsgewandt, sondern offen für Neues.
Hans-Dieter Frauer