* 1. Juni 1842 in Möttlingen, † 2. August 1919 in Jebenhausen
Der evangelische Theologe Christoph Friedrich Blumhardt gilt heute als Ikone des Religiösen Sozialismus. In der Tat war sein Entschluss, soziale Ungerechtigkeit nicht mehr durch Almosen zu überwinden, sondern die politische und wirtschaftliche Machtfrage zu stellen, um die Arbeiter an der Gestaltung von Politik und Gesellschaft zu beteiligen, ein wegweisender Schritt. Die Kirche seiner Zeit hat ihn nicht gewürdigt. 1899 forderte sie Blumhardt auf, den Pfarrertitel abzulegen. Er trat in die SPD ein und war 1900–1906 Abgeordneter im württembergischen Landtag.
Jubiläen sind eine Chance, das Andenken an den Geehrten aus Denkschablonen zu befreien. Christoph Blumhardt ehren heißt, aufgrund der historischen (vor allem brieflichen) Quellen das weite Spektrum seines Wirkens ans Licht zu stellen. Auch wird nur so die besondere Form seines sozialistischen Denkens sichtbar.
Grundlegend sind die Erfahrungen der Kindheit und Jugend, die Erweckung der Möttlinger Gemeinde, Gebetsheilungen und die öffentliche Kritik an seinem Vater, dem Möttlinger Pfarrer Johann Christoph Blumhardt.
Die biblisch begründete Hoffnung des Vaters auf eine baldige Ausgießung des Heiligen Geistes über die ganze Welt und auf die Vollendung des Reiches Gottes prägte Christoph Blumhardt zeitlebens, auch wenn er als Nachfolger in Bad Boll eigene Wege ging. Er kritisierte die Bedeutung der Kirche für das Reich Gottes, ferner die Stellung des Vaters zu Mission und Taufe.
Wie beim Vater wandten sich Menschen jeden Alters in seelischer und körperlicher Not an ihn. Johannes Weissinger, ein Freund Christophs, berichtet von einem todkranken Kind, das auf sein Gebet hin augenblicklich gesund geworden sei. Der Beter Blumhardt sah die Erhörungen als Zeichen: Das Licht des Reiches Gottes scheine bereits in die Gegenwart.
Obwohl er beim Eintritt in die SPD an deren Motto: „Religion ist Privatsache“ anknüpfte, versuchte er, die Partei im Geist des Evangeliums zu beeinflussen. Sozialismus verstand er nicht als innerweltlichen Prozess, der sich gesetzmäßig vollzieht, sondern als Sieg Gottes über die Macht des Kapitals. Bei allem Engagement für den Sozialismus lässt sich das Entscheidende nicht „machen“, nämlich die innere Erneuerung der Menschheit, in die der „Funke des Geistes Gottes“ kommen muss.
Folgerichtig werde es „schließlich Gottes Reich heißen, nicht sozialdemokratisches Reich“. Die sozialistische Bewegung gehöre nicht in die Heilsgeschichte, sondern „ganz in die Weltgeschichte“. Mit dem Dogmatismus mancher Sozialdemokraten konnte Blumhardt sich nicht befreunden; ihre „alleinseligmachende Politik“ erinnerte ihn an den Dogmatismus mancher Kirchenleute. Beiden wollte er sich nicht beugen. „So fühle ich mich alleinstehend“ (Christoph Blumhardt an Howard Eugster-Züst 7.7.1904, 17.8.1906, 18.2.1908).
Eine der vielen seelsorgerlichen Fragen, die ihn erreichten, sprach die zunehmende Entchristlichung an. Wird diese zu einem völligen Erlöschen des Christentums führen? Christoph antwortete (an eine unbekannte Frau, Bad Boll, 13.5.1884), indem er die Fragestellerin daran erinnerte, „wie die ganze alte Christenheit radical zerstört wurde durch den Muhamedanismus [Islam], wie sich ein kümmerlicher Rest des Lichts in den Norden geflüchtet hat“ und dort eine „Masse von Namenchristen und Heiden“ hervorbrachte. Das machte ihm zu schaffen, aber er beharrte darauf: „Wirkliche Jünger Jesu ... können nie und nimmermehr ausgerottet werden, und keine Macht der Hölle kann sie unterdrücken; sonst würde ja Gott selbst seiner eigenen Sache untreu.“
Dieter Ising
Jörg Hübner: Christoph Blumhardt - Prediger, Politiker, Pazifist. Eine Biografie. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2019
Dieter Ising: Johann Christoph Blumhardt, Leben und Werk. 2. erweiterte Auflage. St. Goar: Leibniz Verlag 2018.
Dieter Ising: Zum Verständnis von Blumhardt Vater und Blumhardt Sohn. Über alte Schubladen und neue Perspektiven. Vortrag in Möttlingen am 1.10.2016. In: Württ. Kirchengeschichte online, .
Albrecht Esche: Reich Gottes in Bad Boll. Religion, Kultur und Politik bei Johann Christoph Blumhardt und Christoph Blumhardt. Bad Boll: Evangelische Akademie, 4. Aufl. 2016;
Christoph Blumhardt: Politik aus der Nachfolge. Der Briefwechsel mit Howard Eugster-Züst 1886–1919, hg. von Louis Specker. Zürich 1984;