100. Todestag von Otto Umfrid

Für die einen war er einer der hervorragendsten Theoretiker des Pazifismus, für die anderen ein „Friedenshetzer“ und „Unfriedensäer“. Am 23. Mai vor 100 Jahren ist der Stuttgarter Stadtpfarrer Otto Gottlob Karl Umfrid gestorben.

Umstrittener Pazifist starb am 23. Mai 1920

Er hätte den Friedensnobelpreis verliehen bekommen sollen – stattdessen erfuhr Otto Umfrid zu Lebzeiten Ausgrenzung, Hass und Willkür. Er setzte sich für den Frieden und die Liebe unter den Menschen ein und erntete Hass, der nicht nur ihm selbst, sondern auch seinen Kindern das Leben teilweise unerträglich machte.

Württembergisches Erbe

Otto Umfrid wurde am 02. Mai 1857 in Nürtingen als Sohn alter württembergischer Familien geboren. Dieses württembergische Erbe blieb sein ständiger Begleiter. Zu seinen Vorfahren zählten unter anderem die Reformatoren Johannes Brenz und Matthäus Alber, Regina Bardili oder Michael Erhart. Bardili wurde als „schwäbische Geistesmutter“ bekannt, Michael Erhart schuf den Blaubeurer Altar. Sein Vater Otto Ludwig Umfrid (1822 - 1913) war Rechtsanwalt und Privatgelehrter.

Nicht nur seine Tätigkeit als Karl Christian Plancks erster Biograf (1819 - 1880) prägte das Denken und die Einstellung seines Sohnes Otto entscheidend - Otto Umfrids letzte Veröffentlichung beschäftigte sich mit der Philosophie Plancks und wurde 1917 unter dem Titel „Da die Zeit erfüllet ward…“ herausgegeben - auch des Vaters Tätigkeit als Rechtsanwalt prägte seine Vorstellung, dass wirklicher Friede vor allem durch Verständigung, Verträge und die Stärkung internationaler Gerichte zu schaffen und zu erhalten sei.

 

Otto Umfrid mit seiner Frau Julie vor der Stuttgarter Erlöserkirche

Stadtpfarrer in Stuttgart

Nach dem Besuch des Gymnasiums in Ulm studierte Otto Umfrid ab 1875 am Tübinger Stift evangelische Theologie. In dieser Zeit prägte ihn besonders der Kirchenhistoriker Karl Weizsäcker. 1890 wurde er zunächst Stadtpfarrer an der Martinskirche in Stuttgart, bevor er an die Stuttgarter Erlöserkirche berufen wurde. Ein schweres Augenleiden, eine Netzhautablösung, sorgte dafür, dass er seinen Beruf 1913 aufgeben musste. Neben seinen Pflichten als Pfarrer war er Herausgeber des evangelischen Sonntagsblattes „Grüß Gott“, gab den Volkskalender „Der Friedensbote“ heraus und schrieb ein „Arbeiter-Evangelium“.

Umstrittener Einsatz für den Frieden

Doch eine andere zusätzliche Tätigkeit sollte dafür sorgen, dass Umfrid nicht nur bei seinem Arbeitgeber in Ungnade fiel: 1894 trat Umfrid der Stuttgarter Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft bei und verhalf der Bewegung zu großem Aufschwung im schwäbischen Raum. Nachdem er gesehen hatte, dass sich die Arbeit der Ortsgruppe überwiegend auf interne Treffen und Diskussionen beschränkte, gab er den Impuls, an die Öffentlichkeit zu gehen, damit die Ideen der Bewegung mehr Wirkung erzielen konnten. Er gründete etwa 20 weitere Ortsgruppen und hielt Vorträge. Seine Bemühungen waren so erfolgreich, dass die Geschäftsstelle der Deutschen Friedensgesellschaft 1900 von Berlin nach Stuttgart umzog und fortan fest mit dem Namen Otto Umfrid verbunden blieb, der damals ihr zweiter Vorsitzender wurde.

Otto Umfrid hielt mehrere Vorträge, auch im Ausland. Er schrieb mehrere hundert Aufsätze, überwiegend in der von Bertha von Suttner gegründeten Revue „Die Waffen nieder!“. Trotzdem gelang es ihm nicht, die Legenden um Kaiser Wilhelm I., General Moltke und Bismarck zu zerstören und die Verherrlichung des Krieges in der Bevölkerung nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu verhindern.

Auszug aus dem kirchlichen Familienregister
Dokumentierter Widerstand gegen Umfrids Friedensengagement
Eine der Schriften Otto Umfrids
Schrift Umfrids über Karl Planck

Für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen

Seine Kampfschriften, u.a. „Die Moral in der Politik“ von 1897, in der er Bismarcks Politik kritisierte, wie auch „Anti Treitschke“ aus dem Jahr 1904, in der er sich entschieden gegen die Geschichtsphilosophie Treitschkes stellte, der mit subjektiver Geschichtsschreibung und antisemitischen Schriften die Gewaltbereitschaft und den Nationalismus in der Gesellschaft befeuerte, sorgten für Empörung. Dennoch wurde „Anti Treitschke“ eine seiner bedeutendsten Arbeiten. Darin bekräftigt er, dass an die Stelle der Gewalt gerade im internationalen Umgang das Recht treten solle, die Ausbildung des Völkerrechts solle dafür Sorge tragen, zwischenstaatliche Anarchie und Kriege zu verhindern und zu beenden. So trat Umfrid bereits vor 1914 für den Gedanken eines Völkerbundes ein. Im Jahr 1913 wurde er für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, die Verleihung konnte aber aufgrund des Ausbruchs des ersten Weltkriegs nicht stattfinden.

Mit Ausbruch des Krieges verlor die Deutsche Friedensgesellschaft an Mitgliedern, Otto Umfrid aber bleibt der Bewegung treu. Seine publizistische Arbeit unterlag fortan strenger Zensur. Die pazifistische Tätigkeit der Gesellschaft beeinträchtige den „festen unbeirrbaren Willen zum Durchhalten“ und beeinträchtige das Bild Deutschlands im feindlichen Ausland dahingehend, dass dieses „zu falschen Ansichten über die innere Kraft Deutschlands“ komme. Der von Otto Umfrid und Ludwig Quidde herausgegebene „Völker-Friede“ wurde verboten, die nachfolgende Zeitschrift „Menschen- und Völkerleben“ stark zensiert.

Der nun völlig erblindete Otto Umfrid ließ sich nicht entmutigen und führt seine Arbeit im Ausland durch den Besuch pazifistischer Konferenzen in neutralen Ländern fort, bis ihm sein Pass von den Behörden entzogen wurde. Er schaffte es dennoch, seine gesammelten Kriegsaufsätze in die Schweiz zu schmuggeln. Sie wurden im Züricher Verlag unter dem Titel „Weltverbesserer und Weltverderber“ von Orell Füssli veröffentlicht.

Von seinem Augenleiden entkräftet, zog Otto Umfrid mit 59 Jahren samt seiner Frau und seinen beiden Töchtern nach Lorch. Diese lasen ihm aus philosophischen Schriften vor und schrieben seine Gedanken nieder, sodass Umfrid in Lorch seine letzte große Arbeit beenden konnte, sein Werk über den Philosophen Karl Christian Planck. Er starb drei Jahre nach dessen Veröffentlichung am 23. Mai 1920.

Sabine Elisabeth Tomas/Landeskirchliches Archiv Stuttgart

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