„Vom Himmel hoch, da komm ich her“- das ist eines der meistgesungenen deutschsprachigen Weihnachtslieder, ein echter Klassiker. Aber das Lied ist nicht nur sehr beliebt – es hat auch eine spannende Entstehungsgeschichte. Denn Martin Luther bringt in Melodie und Textaufbau verschiedene Gattungen seiner Zeit zusammen, um seine Botschaft zu verbreiten, unter anderem das sogenannte „Zeitungslied“, mit dem zu seiner Zeit fahrende Sänger auf Straßen und Plätzen Nachrichten aus der weiten Welt verkündeten. Dr. Susanne Schenk, theologische Referentin von Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl, erzählt hier die Geschichte des Liedes.
„Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Mit diesem Lied hat Martin Luther (1483–1546) an der Jahreswende 1534/35 einen weihnachtlichen Gassenhauer geschaffen, der alle Jahre wieder landauf, landab gesungen wird und erklingt. Seine 15 Strophen erschienen zuerst 1535 im Gesangbuch des Wittenberger Buchdruckers Joseph Klug (gest. 1552), einem der Pioniere der 500jährigen evangelischen Gesangbuchgeschichte. Luthers Melodie, mit der das Lied heute bekannt ist, stammt von 1539; sie hat durch die Jahrhunderte Liederdichter und Komponisten zu eigenen Werken inspiriert.
Martin Luther ist seit seiner Kindheit ein passionierter Sänger und Musiker. Als Schüler erfreut er mit seiner schönen Stimme zum Beispiel Ursula Cotta, die Bürgermeisterin von Eisenach. Während des Studiums verletzt Martinus sich an seinem Degen – und nutzt die Genesungszeit, um das Lautespielen zu erlernen; er probiert aus, improvisiert und singt dazu mit seiner inzwischen zum Tenor gereiften Stimme. Nach dem Eintritt ins Kloster prägt der Gesang der Stundengebete seine Tage. Als Luther 1534 seinen weihnachtlichen Gassenhauer dichtet, ist er mittlerweile Theologieprofessor und seit zehn Jahren mit der einstigen Nonne Katharina von Bora verheiratet. In seiner großen Familie singen alle gern. Luthers Schreiben, Dichten und Komponieren geschieht zwischen Kindergesang und Babywiege.
„Zeitungslied“ als Vorbild
„Vom Himmel hoch“ eröffnet einen Einblick in die Werkstatt des Liedermachers. Es lässt erkennen, wie Luther vorhandenes Material verwendet und daraus etwas Neues schafft. Ausgehend von der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums nimmt Luther die Dramaturgie des mittelalterlichen Krippenspiels sowie die Bildwelt oberrheinischer Mystik auf und verbindet sie mit einem aktuellen sogenannten „Zeitungslied“ zu einem genialen weihnachtlichen Crossover: Eine Kreuzung von Bänkelgesang und geistlichem Lied, von Himmel und Erde, von Damals und Heute.
„Ich kumm aus fremden Landen her und bring euch viel der neuen Mär. Der neuen Mär bring ich so viel, mehr dann ich euch hie sagen will.“ So lautet die erste Strophe eines „Zeitungsliedes“, mit dem fahrende Sänger auf Straßen und Plätzen Nachrichten aus der weiten Welt verkündeten – je sensationeller, desto besser. „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ greift nicht nur die einleitende Strophe des damals bekannten Liedes nahezu wörtlich auf, sondern behält zunächst auch die fanfarenhafte Melodie des Bänkelsängers bei – diese findet sich heute noch beim Weihnachtslied „Vom Himmel kam der Engel Schar“. Luther macht das Zeitungslied zum Weihnachtslied – und so die Weihnachtsbotschaft zur Zeitungsnachricht. Was die Gemeinde in der Kirche singt und die Familie im Haus, die Botschaft von der Geburt des Kindes, das ist eine sensationelle Freudennachricht, eine „gute Mär“ für „alle Welt“.
Eine theologische und schriftstellerische Meisterleistung
Nur drei kurze Strophen braucht das Lied, um die frohe Botschaft des Evangeliums zusammenzufassen – eine theologische wie schriftstellerische Meisterleistung. An Weihnachten kreuzen sich Himmel und Erde, Gott und Mensch: Das „Kindelein so zart und fein“ ist „Gott, der will euch führn aus aller Not“. Gott kommt zur Erde, um den Menschen den Himmel zu öffnen: „dass ihr mit uns im Himmelreich sollt leben nun und ewiglich“.
Höfische Königsverehrung und kindliche Sprache
Wie beim Krippenspiel folgt auf die Verkündigung des Engels der Aufbruch vom Feld zur Krippe: „Des lasst uns alle fröhlich sein und mit den Hirten gehen hinein“. So werden die Singenden ausdrücklich Teil des Spiels und das Damals mit dem Heute verschränkt. Traditionelles Ziel des Krippenspiels ist die betrachtende Anbetung. Die Singenden ehren den „König groß und reich“, der sich frei von jeder Bindung an „aller Welt Macht, Ehr und Gut“ mit dem Kleinen gemein macht und ins „Elend her zu mir“ kommt. Angesichts des Neugeborenen kontrastiert das Lied den hohen höfischen Ton der Königsverehrung mit dem zärtlichen Klang kindlicher Sprache – im Haufenreim von Kindelein, Krippelein, Jesulein, Bettelein.
Die Szenerie der Krippe ist gut besetzt; Engel, Hirten und das Kind, selbst Ochs und Esel werden besungen. Doch wo bleibt Maria, die Mutter des Kindes? Die Lieblingsrolle vieler Kinder beim Krippenspiel scheint im Lied zunächst unbesetzt. Doch beim näheren Hinhören wird deutlich: Sie steht im Zentrum, auf gewisse Weise nimmt die singende Person schließlich selbst die Rolle der Mutter Jesu ein. Die 13. Strophe greift die mystische Vorstellung von der Gottesgeburt im Herzen auf, wie sie Johannes Tauler (gest. 1361) zum Schluss seiner Weihnachtspredigt formuliert: „Dass wir nun alle dieser edlen Geburt eine Stätte in uns bereiten, so dass wir wahre geistliche Mütter werden, dazu helfe uns Gott.“
Geistliche Mutter und Bänkelsänger – beide Rollen gehören zusammen, wo Gott zur Welt kommt. Das hat Luther vor 490 Jahren gedichtet und vertont. Und da zu seiner Zeit mit Weihnachten noch das neue Kalenderjahr begann, schließt das Lied mit einem Neujahrsgruß.
Dr. Susanne Schenk, theologische Referentin des Landesbischofs
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