Warum fällt uns Klimaschutz schwer? Wie können wir uns als Christinnen und Christen dazu motivieren? Ulrike Schaich, Pfarrerin mit einem landeskirchlichen Projektauftrag für Schöpfungsspiritualität, spricht im Interview über abstrakte Katastrophen und den aufrechten Gang vor Gott.
Wir alle wissen viel über den Klima- und Umweltschutz – warum kommen wir so schwer ins Handeln?
Pfarrerin Ulrike Schaich: Wir kommen so schwer ins Handeln, weil der Klimawandel so komplex ist und weil die Klimakatastrophe sich so langsam anbahnt. Die Ursachen bestehen aus unendlich vielen kleinen Einzelfaktoren, die jede für sich genommen nicht ins Gewicht fallen. Ob ich jetzt diese eine Fahrt mit dem Auto oder mit dem Fahrrad mache, spielt tatsächlich eine verschwindend minimale Rolle. Die Dringlichkeit ist gering; sie kommt gefühlt irgendwann weit weg in der Zukunft. Und auch wenn die Folgen des Klimawandels uns bereits jetzt schon treffen, wie bei den Überflutungen in diesem Frühsommer, wollen wir eigentlich trotzdem nicht, dass sich etwas ändert. Vielleicht fühlt sich das Problem zu groß an. Vermutlich kommen wir Menschen einfach schlecht zurecht mit dieser abstrakten, langsamen Katastrophe mit Ansage, und dann werden wir von ihrem stückweisen Eintreten – mal hier, mal da – immer wieder überrascht, wie jetzt gerade.
Wir kommen so schwer ins Handeln, weil wir uns als Bevölkerung nicht einig sind und mehr mit Streiten beschäftigt als mit produktivem Handeln. Viele von uns wollen, dass alles so bleibt, wie es „immer schon“ (eigentlich aber erst seit den Wirtschaftswunderjahren nach dem 2. Weltkrieg) war. Damit können wir den Politikerinnen und Politikern aber nicht den Rückhalt geben, den sie für ihre Arbeit brauchen. Sie können dann keine langfristigen Strategien entwickeln, wie wir uns an die veränderten Bedingungen anpassen können. Es ist unsere Aufgabe als Bevölkerung, unseren gewählten Vertreterinnen und Vertretern die Sicherheit zu geben, die sie brauchen. Von uns erfordert das, einmal „um die Ecke“ zu denken: Was müssen wir ändern, damit es auf unserer Erde so schön bleibt, wie es jetzt noch an den meisten Orten ist? Wenn wir bei der Symptombekämpfung bleiben, dass das Haus beim nächsten Hochwasser auf Versicherungskosten wiederaufgebaut wird (was schon viel wäre), dann wird sich das veränderte Klima immer wieder und immer mehr auswirken. Das sind schlicht beweisbare Fakten. Es wird uns auf Dauer nichts anderes übrigbleiben, als sie zur Kenntnis zu nehmen – je früher, desto mehr können wir noch mitgestalten.
Wie können wir mit dem Gefühl umgehen, sowieso nichts ausrichten zu können?
Pfarrerin Ulrike Schaich: Unser Lebensgefühl kann uns sagen: Was auch immer wir für den Klimaschutz tun – es wird nicht reichen, um „die Welt zu retten“. Angesichts der Größe der Probleme fühlen wir uns erschlagen. Das kann ich gut verstehen – ich möchte am liebsten auch manchmal den Kopf in den Sand stecken und suche mir auch gezielt aus, was ich an mich heranlasse und wo ich mich schütze vor zu viel Elend in der Welt. Glücklicherweise braucht das aber kein Dauerzustand zu sein, das würde unserem Status als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes auch nicht entsprechen. Wir haben einen konstruktiven Platz in der Welt zugedacht bekommen – und auf dem liegt Segen.
Wie kann ich als Christ und als Christin auch auf andere zugehen? Was ist unser Platz in der Welt?
Pfarrerin Ulrike Schaich: Unseren guten, passenden Platz in der Welt finden wir im Vertrauen auf Gott und im Handeln: Im Handeln können wir auf andere zugehen und uns mit allen anderen Menschen verbinden, die sich auch für das Wohlergehen unseres „Hauses“, der Erde, einsetzen – unabhängig davon, ob sie an Gott glauben oder nicht. In der Zusammenarbeit mit allen Menschen „guten Willens“ sind wir darin vereint, dass wir diese Mammutaufgabe nicht allein zu stemmen brauchen – nicht allein als Christinnen und Christen, nicht allein in Deutschland, nicht allein in Europa. Wir haben unsere menschlichen Geschwister und wir haben die Erde mit allen Pflanzen und Tieren, die alle ihren Platz kennen und für den Erhalt des Gleichgewichts sorgen. Diese Erkenntnis können wir auch mit Nichtchristinnen und -christen teilen und gemeinsam für das Leben arbeiten.
Wie kann Schöpfungsspiritualität uns als Christinnen und Christen in Zeiten des Klimawandels helfen?
Pfarrerin Ulrike Schaich: Als Christinnen und Christen leben wir aus der großen, liebevollen Zuwendung eines unendlich kreativen Schöpfers. Wir können darauf hoffen, dass er seine Schöpfung nicht allein lassen wird. Alles, was wir tun, wirkt zusammen mit seiner Lebensmacht. Er kommt uns heilsam und verbindend entgegen – in diesem Leben und über unser Leben hinaus. Das kann uns den Rückhalt im Glauben geben, den wir für einen langen Atem brauchen. Das Vertrauen auf den Schöpfer und Versöhner lässt uns immer wieder den aufrechten Gang üben und vor Gott – mit Gott – für das Leben streiten. Verzweifeln ist keine Option. Und vielleicht öffnen wir damit dem Heiligen Geist ein Schlupfloch, dass Gott die Katastrophe noch einmal abwendet und uns eine Rettungserfahrung schenkt, wie sie so viele Menschen zu biblischen Zeiten machen durften. Nur – warum sollte Gott sich seiner Schöpfung annehmen, wenn wir uns nicht um ihr und unser aller Wohlergehen bemühen? Es hängt nicht an uns, ob gutes Leben auf der Erde auch in Zukunft möglich sein wird – Gott ist auch noch da, es ist seine Erde. Aber wir verfehlen unseren Auftrag als erwachsene Christen, wenn wir uns zurücklehnen und sagen, der große Vater im Himmel wird’s schon richten. In unserem Leben nicht tätig zu werden und stattdessen auf ein erfülltes Leben jenseits dieses Lebens zu setzen, würde dieses wunderschöne Geschenk des Lebens so vieler Menschen und Tiere auf der Erde missachten. Missachtung des Lebens ist aber ebenfalls keine Option. „Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit (…), doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.“ (Römer 8,20-22)
Unser Ziel bleibt Gottes universaler Frieden, den wir jetzt und hier schon erleben wollen, soweit es möglich ist. Dafür können wir uns einsetzen – im Bewusstsein, dass wir ihn zwar nicht schaffen, aber uns an seinem Entstehen beteiligen können. Dabei begleitet uns Jesus Christus – in dieser Welt und darüber hinaus.
Im christlichen Umfeld meint das Wort die Verbundenheit mit dem Schöpfer und der Schöpfung, die in großer Vielfalt ins Leben gerufen ist. In komplexen biologischen Prozessen und Regelkreisen entfaltet sich ein Wunder um und mit uns, an dem wir Anteil haben – wie alle anderen Mitgeschöpfe. Ziel der Praxis der Schöpfungsspiritualität ist, aufmerksam mit offenen Sinnen die soziale und natürliche Welt wahrzunehmen und gemeinsam mit allen anderen den Schöpfer zu loben.
Schöpfungsspiritualität kultiviert die Dankbarkeit und Freude – im Bewusstsein der Vergänglichkeit und dem Eingebundensein in die große Schöpfungsfamilie in unserem gemeinsamen „Haus“, der Erde. Hier hat jedes einzelne Lebewesen seinen passenden Platz, an dem es seine Verantwortung lebt: die Erde bringt Nahrung und Leben hervor und antwortet darin auf Gottes Auftrag, Mitschöpferin zu sein. (1. Mose 1,12: „Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art.“) Sie ist auch unverzichtbar beim Entstehen der Tierarten und des Menschen „aus Erde vom Acker“ – zusammen mit dem Leben schaffenden Atem Gottes, seinem Geist, den er dem Menschen und allem Leben einhaucht (1. Mose 1,24; 1. Mose 2,7; Psalm 104,29-30).
Der Mensch hat seinen guten, passenden Platz im Gesamten der Schöpfungsfamilie, aller Tier- und Pflanzenarten und aller anderen Menschen. Darin hat jeder einzelne Mensch seine spezifische Verantwortung unter den Geschwistern, die alle ihre je eigene Bestimmung und Verantwortung haben. Das Ziel ist, in der Gemeinschaft der Erde mit allen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern die Vielfalt der Lebensmöglichkeiten zu leben und sie zu feiern – jede nach ihrer Art.
(Pfarrerin Ulrike Schaich)
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