Rund 70 Menschen jährlich überlassen ihren Körper nach ihrem Tod der Universität Tübingen, damit angehende Ärztinnen und Ärzte an ihnen lernen können. Am Donnerstag, 21. Februar, um 11 Uhr gedenken Studierende, Dozenten und Angehörige den Körperspendern in einer ökumenischen Aussegnungsfeier in der Tübinger Stiftskirche.
Für die Studierenden geht mit der Aussegnungsfeier der „sicherlich intensivste Kurs, den sie in ihrem Studium haben“, zu Ende, sagt Professor Dr. Bernhard Hirt. Im sogenannten Präparationskurs arbeiten angehende Mediziner im zweiten und dritten Semester und angehende Zahnmediziner im vierten und fünften Semester 120 Stunden lang an einem Menschen, zerlegen seine Körperteile und Organe. In Gruppen von zehn Studierenden lernen sie buchstäblich „jede Faser eines Menschen kennen“, erklärt der Leiter des Instituts für Klinische Anatomie und Zellanalytik. Dadurch geschehe etwas, das Hirt „Metamorphose“ und „Professionalisierung“ nennt: Die Studierenden lernen den menschlichen Körper mit dem für ihren späteren Beruf notwendigen analytischen, distanzierten Blick wahrzunehmen.
Die medizinische Fakultät begleitet diesen Prozess mit einem Seminar namens Kopfsache. Es gibt den Studierenden die Gelegenheit, darüber zu reden, „was die Arbeit an einem Körperspender mit einem macht“, so der Leiter der Anatomie. Obwohl sie es nicht müssten, nehmen rund die Hälfte der 200 angehenden Mediziner dieses Angebot wahr.
Bevor die Studierenden an den Toten arbeiten, werden die Körperspender „entindividualisiert“, erklärt Hirt. Ihre Haare werden entfernt. Eine Fixierlösung, die den Verfall des Gewebes verhindert, führt zu einer Veränderung der Haut, die nicht einmal mehr das Alter des Menschen erkennen lässt. „Die Individualität tritt zurück, aus dem Körper wird ein Modell“, beschreibt der Mediziner diesen Prozess. Bei der Aussegnungsfeier geschehe nun etwas „sehr Eindrucksvolles“, so Hirt: Den Toten werde ihre Individualität wieder zurückgegeben. Die Namen der für die Studierenden bisher Namenlosen werden verlesen, und für jeden Körperspender wird eine Kerze entzündet.
Die Gedenkfeier mache klar: „Die Person war nicht nur Lehrobjekt, sondern Mensch“, sagt Julia Schellmann. Der Medizinstudentin geht es am Donnerstag darum, den Körperspendern ihren „Respekt“ zum Ausdruck zu bringen und ihre Dankbarkeit, auch gegenüber den Angehörigen. Zu zeigen, dass es für sie keine Selbstverständlichkeit ist, dass ein Mensch seinen Körper zur Verfügung stellt, sei ihr „sehr, sehr wichtig“, betont die angehende Zahnmedizinerin.
Julia Schellmann spielt in der Aussegnungsfeier am Donnerstag Violine. Die Studierenden haben ein Orchester zusammengestellt und einen Chor. Andere haben sich Gedanken gemacht, was gesprochen werden soll, haben Texte herausgesucht und formuliert und auch ein Gedicht verfasst.
Der katholische Klinikseelsorger Martin Günter und seine evangelische Kollegin Elisabeth Zeile haben die Vorbereitungstreffen der Studierenden begleitet. Bei der Gedenkfeier am Donnerstag begrüßt die Pfarrerin die Anwesenden und spricht den Segen, der Pastoralreferent hält die Ansprache, alles andere kommt von den Studierenden. Im Mittelpunkt stünden die Dankesrede und die Verlesung der Namen der Körperspender, sagt Günter. „Das sind sehr dichte Momente“, so der Seelsorger, „das geht unter die Haut“. Unter den rund 600 Besuchern der Aussegnungsfeier herrsche dann absolute Stille.
Im Anschluss an die Gedenkfeier treffen sich die Studierende und die Angehörigen der Körperspender im evangelischen Gemeindehaus Lamm zu Kaffee und selbstgebackenem Kuchen. Wie bei einer Beerdigung. Auch diesen Teil der Feier haben die angehenden Mediziner selbst organisiert und vorbereitet.
Beigesetzt werden die Urnen der Körperspender auf dem Tübinger Waldfriedhof. Im Anschluss daran gibt es am 19. Juli auf dem Friedhof eine Feier in kleinerem Rahmen, zu der die Klinikseelsorge die Angehörigen einlädt.
Quelle: Andreas Föhl, Medienbeauftragter im Kirchenbezirk Tübingen