Stuttgart. Am 18. April 2014 ist Karfreitag. Zu diesem hohen kirchlichen Feiertag schreibt Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July:
Heute völlig undenkbar, in meiner Jugend aber üblich: An Karfreitag zur Sterbestunde Jesu hat das Radio eine fünfzehnminütige Sendepause eingelegt. Stille. Dabei ist der allererste Karfreitag kein stiller Tag gewesen. Damals, als Jesus auf der Hinrichtungsstätte von Jerusalem unschuldig starb, wurde es mitten am Tag finster, zerriss im Tempel der Vorhang, die Erde bebte, Felsen barsten, und die Gräber taten sich auf. So berichtet es die Bibel.
Ein Gegensatz, wie er größer nicht sein könnte: hier das Aufbegehren der Elemente, da das Schweigen von Menschen und Medien. Wobei das eine das andere nicht ausschließt. Im Gegenteil: Angesichts der Ungeheuerlichkeit des karfreitäglichen Geschehens sollte auch heute noch die Welt in Aufruhr geraten und im Gedenken an die Ermordung des Gottessohns einen Proteststurm entfachen gegen den Tod Unschuldiger wo auch immer. Und gleichzeitig ist Stille notwendig. Sich dem Unfassbaren aussetzen, hören, sehen, beten: Der Tod am Kreuz auf Golgatha ist die Befreiung der Menschheit von ihrer eigenen Schuld.
Was heißt das nun aber für heute? Sich ein Schweigen der Medien wie vor einem halben Jahrhundert zurückzuwünschen, ist nicht realistisch. Aber der teils schleichenden, teils von manchen geradezu beförderten Erosion der Stille an diesem Tag sollten wir dennoch Einhalt gebieten. Weil der Mensch mehr braucht als den Arbeits- und Vergnügungslärm des Alltags, der einem Hören und Sehen vergehen lässt – in diesem Fall Hören und Sehen auf das, was Karfreitag bedeutet. Der Mensch braucht solche Tage, die aus der Reihe tanzen, und sei es dadurch, dass an ihnen unter anderem nicht getanzt wird. Denn nur wo Stille herrscht, sind auch die Schreie der Leidenden zu vernehmen.
Gleichzeitig erheben wir dem Aufbegehren des ersten Karfreitags entsprechend unsere Stimme und werden zu Protestleuten gegen den Tod – gegen den Tod unschuldiger Kinder, Frauen und Männer überall auf der Welt. Deshalb ist unser beherztes Eintreten für Menschen auf der Flucht, für Asylsuchende, für Bürgerkriegs- und Terroropfer – wie jüngst beispielsweise in Nigeria – notwendig. An das Kreuz Christi müssen wir auch im Jahr 2014 ihre Namen und Bilder heften. Die Welt der Gewalt und des Todes gibt keine Ruhe. Und wir geben keine Ruhe, wenn es darum geht, an die Opfer zu denken und uns nach Erlösung und Leben gerade für sie zu sehnen. Denn „Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden“ (Lukas 20,38).
Karfreitag 2014 – begehen wir ihn als beides: als Tag der Stille und als Tag der klaren Worte und damit als Feiertag, der zum Leben befreit!
Ihr Frank Otfried July
Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche