Stuttgart. "Diakonie und Kirche sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Dies macht es nötig, auf einer gemeinsamen geistlichen Grundlage zu arbeiten und die gleichen Wertevorstellungen zu teilen", sagte der württembergische Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July am Mittwoch, 15. Februar, in Stuttgart. Bei den Feierlichkeiten anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Evangelischen Heimstiftung, des größten Anbieters von Altenhilfedienstleistungen in Baden-Württemberg, sprach er sich gleichzeitig für eine stärkere Vernetzung im Sozialbereich aus und machte sich für ein Modell integrativer Pflege stark.
Zur Grundlage integrativer Pflege gehöre, dass kein Mensch zum Objekt des Helfens degradiert werde, sondern immer Subjekt bleibe. "Nur so behält er seine Würde", sagte July in seinem Grundsatzreferat. Das Recht auf Würde und Teilhabe lasse sich aber nur verwirklichen, "wenn alle Beteiligten gut zusammenarbeiten und sich als Teil des Ganzen verstehen: Pflegeberatung, ambulante Dienste und stationäre Einrichtungen, Nachbarschaftshilfe, Kirchengemeinden und Ehrenamtliche, Angehörige und Nachbarn, Ärzte und Krankenkassen."
Der württembergische Landesbischof formulierte "Anregungen für eine Weiterentwicklung diakonischer Arbeit". So sollten diakonische Einrichtungen soziale Netze stärken. "Gemeinwesenorientierung ist ein Qualitätsmerkmal jeder diakonischen Arbeit", betonte er. Darüber hinaus gelte es, die Grenzen der eigenen Möglichkeiten zu kennen und andere mit ins Boot zu holen. So seien "intensive gemeinsame Anstrengungen"gefragt, um etwa dem Fachkräftemangel in der Pflege zu begegnen. Auch sollten "die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen und andere gesellschaftliche Gruppen immer wieder gemeinsam und mit Durchsetzungskraft für gerechte finanzielle Rahmenbedingungen streiten."
Ebenso brauche es übergeordnete Werte, die selbstverständlich seien und für alle Menschen ohne Unterschied gelten würden. "Über diese Werte müssen wir uns verständigen. Sie sind elementarer Bestandteil einer diakonischen Kultur, die es kontinuierlich zu entwickeln und etablieren gilt", sagte July wörtlich und merkte selbstkritisch an: "Wir müssen das sehr ernst nehmen, wenn Mitarbeitende, Angehörige oder Hilfebedürftige diese diakonische Kultur vermissen lassen."Außerdem sei es in hohem Maße bedauerlich, dass ein "gutes Miteinander von Dienstgeber und Dienstnehmer"aufgrund des wachsenden Kostendrucks immer schwieriger werde, sich Mitarbeitende vor allem als Kostenfaktor behandelt fühlten, gegenseitige Blockadehaltungen eine einvernehmliche Lösung unmöglich machten, der Gang zum Schlichter immer mehr zur Regel und der "Dritte Weg"zunehmend problematisiert werde. Wörtlich erklärte der Landesbischof: "Wenn die Kirchlichkeit der Diakonie immer mehr in Frage gestellt wird, wenn die gemeinsamen Ziele von Dienstgeber und Dienstnehmer aus dem Blick geraten, wenn beide Seiten mit harten Bandagen ihre Forderungen durchsetzen wollen, dann geht der Diakonie ihr Wesentliches verloren."
July hält den "Dritten Weg", die eigenen arbeitsrechtlichen Regelungen für Mitarbeiter in den Kirchen und kirchennahen Organisationen, für "ein sehr geeignetes Verfahren". Es seien durch diesen Weg viele Lösungen ermöglicht worden, die sich nicht verstecken müssten. Darüber hinaus ermögliche das System des "Dritten Weges"eine sehr hohe Tarifbindung kirchlicher Einrichtungen. "Wir leisten unseren Beitrag zum Sozialstaat", sagte der württembergische Landesbischof. "Umso mehr befremdet es mich, wenn ein Großkonzern wie IBM künftig weitgehend auf fest angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verzichten will, auch um die Sozialbeiträge zu sparen."
Oliver Hoesch