14.03.2015

Frühjahrstagung der Landessynode zu Ende gegangen

Kinder- und Jugendarbeit im Mittelpunkt – Bischof July erinnert an Fürbitte für IS-Opfer

Stuttgart. Im Stuttgarter Hospitalhof ist am Samstag die zweitägige Frühjahrstagung der Synode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg zu Ende gegangen. Schwerpunktthema war dabei die Auswertung und Überlegung zu Konsequenzen zur Kinder- und Jugendstatistik Baden-Württemberg „Jugend zählt“. Außerdem beschlossen die Synodalen einen Nachtragshaushalt für 2015 in Höhe von rund einer Million Euro, beschäftigten sich mit der aktuellen Flüchtlingsarbeit, mit der Sinus-Kirchenstudie für Baden-Württemberg sowie einer Bilanz der landeskirchlichen Japan-Hilfe.

Nachtragshaushalt
Gestiegene Umbau- und Modernisierungskosten für das Mütterkurheim in Bad Wurzach (Landkreis Ravensburg) in Höhe von 664.400 Euro sowie Schwankungen bei den Versorgungslasten für Pfarrerinnen und Pfarrern, die in den Dienst des Bundeslandes wechseln (330.863,17 Euro) haben einen Nachtragshaushalt notwendig gemacht, den die Synodalen einstimmig beschlossen haben. Diskussionen gab es über die Frage, wie stark die Landeskirche die Beträge für die Kirchengemeinden erhöht. Bisher bekommen die Kirchengemeinden aufgrund der höheren Kirchensteuereinnahmen rund 20 Millionen Euro mehr. Ein Antrag, weitere 30 Millionen Euro in die Gemeinden zu geben, wurde zur Beratung in den Finanzausschuss verwiesen.

Antisemitismus und IS
Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July rief angesichts der weiterhin katastrophalen Verfolgungssituation zur Fürbitte für die Mitchristen in Syrien, Irak und Nigeria auf: „Gerade in dieser Passionszeit: Beten Sie für die, deren Leiden weitergeht, auch wenn die Berichterstattung zurückgeht. Wir können und dürfen nicht vergessen: Die Mörderbanden des IS dürfen nicht das letzte Wort - und das letzte Bild - haben“. Auch habe er gegenüber Landesrabbiner Netanel Wurmser erneut bekräftigt, dass die Landeskirche klar und entschieden gegen Antisemitismus hierzulande einstehe.
Synodalpräsidentin Inge Schneider hatte Dr. h. c. Frank Otfried July, der am 11. März 2005 im ersten Wahlgang von der Landessynode zum Landesbischof gewählt wurde, zuvor für die gute Zusammenarbeit in den vergangenen zehn Jahren gedankt.

Flüchtlingsarbeit
Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandschef des Diakonischen Werks Württemberg, kritisierte in der Debatte zur Situation von Flüchtlingen lange Wartezeiten für traumatisierte Flüchtlinge: „Wartezeiten von neun Monaten für eine psychotherapeutische Versorgung sind den Betroffenen nicht länger zuzumuten.“ Hier müsse dringend nachgebessert werden. Die Landeskirche hat in den letzten beiden Jahren insgesamt 3,55 Millionen Euro zusätzlich für Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt, je zur Hälfte für Hilfe in den Herkunftsländern und in Württemberg. In der Landeskirche gibt es zwei Asylpfarrämter in Stuttgart und Reutlingen sowie zwei Flüchtlingsdiakonate in Heilbronn und Ulm. Außerdem haben Kirchenbezirke zwölf 50-Prozent-Stellen für Flüchtlingsarbeit geschaffen. Darüber hinaus engagieren sich Bezirksbeauftragte für Asyl und Migration. Kaufmann wies darauf hin, dass die Flüchtlingszahlen seit sieben Jahren anstiegen, aber immer noch deutlich unter den Zahlen aus den 90er Jahren liegen.

Glaubenskurse
Der für Theologie zuständige Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel warb für einen Ausbau der Glaubenskurse in der Landeskirche. „Konsequent missionarische Kursangebote für die Erstbegegnungen mit dem Glauben“ seien notwendig, außerdem sollten Fortbildungsangebote für Kursleitende zum Regelangebot von Kirchengemeinden und -bezirken werden. Eine wissenschaftliche Auswertung ergab, dass in Württemberg jede zehnte Gemeinde Glaubenskurse anbiete, vor allem in ländlichen Gegenden und häufig mehr als Glaubensvertiefung als von Kirchendistanzierten genutzt. Prof. Dr. Friedrich Schweitzer, Praktischer Theologe mit Schwerpunkt Religionspädagogik an der Universität Tübingen, der die Untersuchung leitete: „Kirche braucht beides: Kurse zum Glauben und andere Bildungsangebote für Erwachsene. Das Kursangebot sollte weiter ausgebaut werden. Evangelische Kirche braucht Möglichkeiten, im Glauben sprach- und urteilsfähig zu werden.“

„Jugend zählt“ – Kinder- und Jugendstudie
Am Samstag setzte die Landessynode ihre Beratungen zu Veränderungen in der Kinder- und Jugendarbeit fort, deren Impulse im Ausschuss für Bildung und Jugend weiterbearbeitet werden. Zuvor hatte Prof. Dr. Friedrich Schweitzer die Gruppenarbeit den Kern der Jugendarbeit genannt. Das sei ein Ergebnis der Studie „Jugend zählt“ zur kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit in Baden-Württemberg. In Württemberg nimmt demnach jeder fünfte Evangelische im Alter zwischen sechs und 20 Jahren an einer regelmäßigen Gruppe, beispielsweise einer Jungschar, teil. Mit mehr als 70.000 sei die Zahl der Ehrenamtlichen bei Kinder- und Jugendangeboten in den beiden evangelischen Landeskirchen besonders hoch. In Württemberg beteiligen sich durchschnittlich pro Kirchengemeinde 40 ehrenamtliche Mitarbeiter. Dadurch gelinge eine sehr intensive Begleitung der Gruppenangebote. Oft kämen nur drei bis fünf Teilnehmende auf einen Mitarbeiter. Dies freilich würdige die Bildungspolitik nicht angemessen, so Friedrich Schweitzer: „In der Bildungspolitik findet die Bedeutung der Kinder- und Jugendarbeit noch immer nicht die Anerkennung, die sie im Blick auf die Teilnehmenden ebenso verdient wie hinsichtlich der ehrenamtlich Tätigen. Noch immer – und vielleicht muss man sogar sagen: immer mehr – wird die Schule als der einzig maßgebliche Ort des Lernens angesehen. Dass man anderswo vielleicht viel mehr lernen kann – nämlich für das Leben und für die Persönlichkeitsentwicklung –, das wird dann nicht nur übersehen, sondern durch eine immer weitere Ausdehnung von Schule unmöglich gemacht oder deutlich erschwert.“ Dabei habe für viele Leitungspersonen in Kirche, Politik und Gesellschaft die Jugendarbeit den Einstieg in ihr Engagement bedeutet. Am Freitagabend ließen sich die Synodalen von mehr als 100 in der Kinder- und Jugendarbeit Engagierten über die Praxis der Kinder- und Jugendarbeit informieren.

Sinus-Kirchenstudie
Die Mitglieder der evangelischen Landeskirchen in Württemberg und Baden gehören zu mehr als 70 Prozent den traditionell oder bürgerlich orientierten Milieus der Ober- und Mittelschicht an. In postmodern-experimentell orientierten oder prekären Milieus sind die Kirchen dagegen deutlich unterrepräsentiert. Dies ist eines der Ergebnisse der Sinus-Milieustudie „Evangelisch in Baden und Württemberg“, die Prof. Heinzpeter Hempelmann vor der Synode vorstellte. Drei Viertel der Evangelischen wollen der Studie zufolge „nie“ und weitere 16 Prozent „wahrscheinlich nicht“ aus ihrer Kirche austreten. Nur zwei Prozent seien dagegen zum Austritt entschlossen. „Das sind Werte, die noch nicht einmal von der katholischen Kirche erreicht wurden“, freute sich Hempelmann. Bei denen, die ihrer Kirche eher distanziert gegenüberstehen, seien die drei Hauptgründe „fehlende inhaltliche Passung, mangelnde Relevanz oder ‚enttäuschte Liebe’“, erklärte Hempelmann. Den solchermaßen Betroffenen müsse man ganz unterschiedlich begegnen, doch liefere die Sinus-Studie dafür „phantastisches Material“.

Bilanz Japan-Hilfe
Unmittelbar nach dem vierten Jahrestag der Dreifachkatastrophe in Japan vom 11. März 2011 zog die Synode eine Bilanz über ihre Hilfsmaßnahmen. Masami Kato vom YWCA Japan (Young Women’s Christian Association), berichtete, dass die radioaktive Verseuchung in der Umgebung von Fukushima immer noch hoch und die Gegend nicht sicher sei. Bei dort lebenden Kindern zeigten sich bereits Schilddrüsenveränderungen. „Der YWCA hat für Familien von Fukushima unter anderem ein Kinder-Ferienprogramm in unbelasteten Gegenden gestartet“, so Kato. In Fukushima selbst gebe es das „Second House Project“, das kostenlose Wohnungen in nicht von Radioaktivität betroffenen Gegenden zur Verfügung stellt und es Familien ermöglicht, für bis zu 14 Tage an einen sicheren Ort in Japan zu verreisen. „Die von der württembergischen Landeskirche erhaltene Spende wird für die Deckung eines großen Teils dieser Ausgaben verwendet. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken.“

Die Evangelische Landeskirche Württemberg hatte nur wenige Tage nach der Katastrophe 2011 einen Hilfsfonds mit einer Million Euro eingerichtet. Außerdem entsandte sie Pfarrerin Sabine Kugler nach Japan, um Gemeinden vor Ort zu unterstützen. Mit dem Geld konnte Projekten der japanischen Kirchen finanziell unter die Arme gegriffen werden. So wurden beispielsweise 110.000 Euro für Seelsorge in Notunterkünften und Neubaugebieten zur Verfügung gestellt. Des Weiteren beteiligt sich die Landeskirche mit 15.000 Euro an der Finanzierung einer internationalen Konferenz zur Nuklearenergie. Diese Konferenz soll 2016 in Japan stattfinden und sich mit dem Thema „Gegen den Glauben sicherer Nuklearenergie“ auseinandersetzen. Direkt im Krisengebiet Fukushima konnte ein Indoor-Spielplatz für Kinder, die aufgrund der erhöhten Radioaktivität nur sehr selten draußen spielen können, mit 20.000 Euro gefördert werden. Und auch die Folgen und Spätfolgen der nuklearen Katastrophe waren im Blick der Hilfsgelder. So wurden Schulen mit Geigerzählern ausgestattet oder Schilddrüsenkrebs-Vorsorgeuntersuchungen finanziert.

Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche

Ausblick:
Die nächste Tagung der 98 Landessynodalen findet vom 2. bis 4. Juli in Stuttgart statt.

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