Stuttgart. Humanitäre statt vorrangig wirtschaftliche Kriterien für ein Bleiberecht für Flüchtlinge hat der evangelische württembergische Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July bei einem Besuch in der Psychologischen Beratungsstelle für politisch Verfolgte und Vertriebene (PBV) in Stuttgart gefordert. "Hier – wie auch bei der aktuell von den Kirchen, Diakonie und Caritas geforderten neuen stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung – müssen humanitäre Grundsätze zur Geltung gebracht werden, d.h. es darf nicht vorrangig und einseitig auf die eigenständige, wirtschaftliche Sicherung des Lebensunterhalts abgestellt werden. Berücksichtigt werden muss insbesondere die Situation traumatisierter, alter und kranker Personen, die keine oder nicht ausreichende finanzielle Einkünfte erzielen können."
Nach einer Studie der Universität Konstanz leiden 40 Prozent aller in Deutschland ankommenden Flüchtlinge an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Solange sie in Deutschland geduldet werden, bekommen sie zwar die psychologische Beratung finanziert, allerdings seien die Aussichten, gesund zu werden, eher gering: Die Angst davor, wieder in das Land zurückkehren zu müssen, aus dem sie geflohen sind, verhindere bei vielen Flüchtlingen einen Behandlungserfolg.
Damit traumatisierte Flüchtlinge, die eine Therapie durchlaufen, im Alltag zurecht kämen, bräuchten sie Unterstützung von freiwilligen Helferinnen und Helfern, sagte der Landesbischof weiter. "Wir als Kirche setzen uns im Horizont unseres Glaubens für die Rechte von Flüchtlingen, für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden ein", so July.
In Baden-Württemberg leben derzeit rund 45.000 anerkannte Flüchtlinge. Hinzu kommen rund 10.000 Personen mit einer Duldung und etwa 7.000 Asylsuchende, über deren Verfahren noch nicht entschieden ist. Ende 2011 werden viele vorläufig Bleibeberechtigte, die 2006/2007 eine so genannte "Bleibeberechtigung auf Probe" erhalten hatten, in die Duldung zurückfallen, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können.
Oliver Hoesch