Am Dienstag, 11. März, jährt sich der Amoklauf von Winnenden und Wendlingen zum fünften Mal. Dazu schreibt Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July:
„Fünf Jahre ist der Amoklauf von Winnenden und Wendlingen her. Mit seinen insgesamt 16 Toten hat er tiefes Leid gebracht und das Leben vieler Menschen so verändert, dass für sie nichts mehr ist wie zuvor, und das für immer.
Der 11. März 2009 hat sich tief in mein Gedächtnis und in mein Herz eingeprägt. Noch heute sehe ich die Menschen vor mir, die mir am Nachmittag in Winnenden am Ort des Schreckens begegnet sind. Am Abend jenes schlimmen Tages haben wir unsere Klage und unsere Verzweiflung in einem Gottesdienst vor Gott gebracht. Die Bilder von damals gehen mit und lassen einen nicht mehr los.
Durch die schrecklichen Geschehnisse von vor fünf Jahren sind viele Diskussionen ausgelöst worden. Alle standen sie unter der Frage: Wie kann eine solche Tat zukünftig verhindert werden? Heute frage ich mich: Haben wir aus Winnenden und Wendlingen tatsächlich die nötigen Lehren gezogen? Meine Antwort lautet: ja und nein! Ja, weil unsere Gesellschaft zumindest ansatzweise sensibler geworden ist, was den Umgang mit Waffen anbelangt. Das Aktionsbündnis der Eltern der Winnender Opfer hat dazu entscheidende Anstöße gegeben. Aber auch nein, weil Gewalt nach wie vor zumindest medial gesellschaftsfähig ist. Wobei es mir zu wenig ist, mit dem Finger auf die „Medien“ zu zeigen, die mit Gewalt Quote machen. Es sind immer Menschen, die Bilder der Gewalt suchen und sich davon faszinieren lassen. So wie es auch Menschen sind, die Waffen produzieren und sie verkaufen.
Aber auch die Angehörigen der Opfer des 11. März 2009 fragen, und zwar uns alle: Habt ihr nach den Beileidsbekundungen von damals wirklich mit der nötigen Entschiedenheit daran gearbeitet, dass sich eine solche Gewalttat nicht wiederholt? Abgeschlossen ist diese Arbeit in meinen Augen auf keinen Fall. Im Gegenteil: Auch fünf Jahre nach Winnenden und Wendlingen stellt sich die Frage nach unserem Umgang mit Gewalt in ungebrochener Aktualität, und die Diskussion darüber, ob wir unsere Kinder nicht noch mehr vor Gewaltdarstellungen und Gewaltspielen schützen sollten, muss fortgesetzt werden. Es gibt ein Menschenrecht auf Leben, nicht aber eins auf den Kick von Gewalt vor dem Fernsehapparat, im Kino oder am Computer.
Vor allem aber sind wir dazu aufgerufen, immer wieder neu zu sagen: Wir wollen ein friedliches Zusammenleben, dessen tragende Säulen gegenseitiger Respekt und Nächstenliebe sind. Von Jesus stammt der Satz: „Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Matthäus 5,9) Sich diesem Ruf anzuvertrauen und ihn tagtäglich zu leben, dazu möchte ich fünf Jahre nach dem 11. März 2009 ganz besonders einladen.“
Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche