Stuttgart/Reutlingen/Tübingen/Ulm. Noch ist die „Saison“ in vollem Gang, aber klar ist schon jetzt: Die Vesperkirchen in Württemberg platzen auch in diesem Jahr aus allen Nähten. „Die Kirche war vom ersten Tag an proppenvoll“, berichtet Diakon Peter Heilemann aus Tübingen. „Da ist kaum mehr Luft nach oben.“ Auch in Stuttgart, Ulm und Reutlingen stoßen die Organisatoren an ihre Kapazitätsgrenzen. „Entgegen aller positiver Meldungen vom Arbeitsmarkt fällt die Gesellschaft immer mehr auseinander“, erklärt Heilemann den Ansturm auf die Vesperkirchen. Diakoniepfarrerin Karin Ott in Stuttgart spricht von einer „Verfestigung der Armut auf einem hohen Niveau“. Jeden Tag werden in den vier genannten Vesperkirchen knapp 1.800 Essen ausgegeben. In der württembergischen Landeskirche gibt es insgesamt 25 Vesperkirchen. Die meisten haben im Januar und Februar geöffnet.
Pfarrer Rolf Engelhardt, einer der Organisatoren der Ulmer Vesperkirche, berichtet von auffallend vielen psychisch Kranken, die sich zur Mittagszeit einfinden. „Viele erzählen mir, dass sie sich überfordert fühlen von den steigenden Anforderungen in der Arbeitswelt. Auch die fehlende Sicherheit verkraften viele nicht gut“, erklärt Engelhardt. Ihnen tue vor allem die Tischgemeinschaft und das Miteinander in der Vesperkirche gut. In Ulm und Reutlingen beobachten die Organisatoren zudem, dass vor allem an den Wochenenden vermehrt Familien mit Kindern in die Vesperkirchen kämen. Ein Trend, den Diakoniepfarrerin Karin Ott für Stuttgart so nicht erkennen kann: „Viele Eltern tun alles, um ihre Kinder nicht der subjektiv empfundenen Scham der Armut auszusetzen.“ Deshalb kämen sie eher wochentags ohne ihre Kinder, die dann sowieso in der Schule seien.
Ohne die vielen Ehrenamtlichen wären die Vesperkirchen nicht möglich, so ein weiteres Fazit. Allein in Stuttgart sind insgesamt rund 800 Ehrenamtliche im Einsatz. Karin Ott berichtet zudem von vielen Anfragen aus Unternehmen und Betrieben, die ihre Führungskräfte unter dem Stichwort „Soziales Lernen“ als Ehrenamtliche in der Vesperkirche in Stuttgart unterbringen wollten. Auch die Spendenbereitschaft ist hoch. In Reutlingen gehen bereits Spenden für 2015 ein. In Tübingen, Stuttgart und Ulm werden noch Spenderinnen und Spender für die diesjährigen Vesperkirchen gesucht. „Aber wir sind zuversichtlich“, erklärt Diakon Peter Heilemann in Tübingen. „Bisher haben wir noch nie ein Minus gemacht.“
Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche
In Stuttgart ist die Vesperkirche seit 19. Januar geöffnet und läuft noch bis 8. März, in Reutlingen von 12. Januar bis 9. Februar, in Tübingen von 26. Januar bis 22. Februar und in Ulm von 16. Januar bis 12. Februar.