Wer die Augen vor der Wirklichkeit gerade des Jahres 2015 nicht verschließt, sieht vor allem eine Karfreitagswelt. Und doch leuchtet über dem Leiden, dem Tod und der Gottverlassenheit schon das Licht des Ostermorgens und damit das Leben auf. Das jedenfalls meint Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July in seiner Karfreitags- und Osterbotschaft 2015.
„Terrorgrauen des Islamischen Staats, Krieg in der Ukraine, 150 Tote nach einem Flugzeugabsturz – all das erschüttert uns und macht uns deutlich, wie sehr die Welt aus den Fugen ist. Wie kann man eigentlich in dieser Karfreitagswelt, bei all den schrecklichen Todesnachrichten, von Ostern und damit vom Leben sprechen? Wie bei der vielfachen politischen Ratlosigkeit von der Hoffnung, dass Frieden wird?
Wer die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließt, sieht vor allem eine Karfreitagswelt: Leiden, Tod und Gottverlassenheit – in den Bürgerkriegsgebieten in Syrien und im Irak, in den Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer, bei den Opfern von Gewalt und Terror. Es scheint, wie es immer war, und von der erhofften Zeitenwende keine Spur: Das Leben wird nach wie vor mit Füßen getreten, und Mord und Totschlag zeigen ihr menschenverachtendes Gesicht.
„Es ist vollbracht!“ sagt der sterbende Jesus am Kreuz. Fast ist man angesichts der Bilder dieser Welt versucht, dies als Stoßseufzer der Erleichterung zu verstehen: „Ich hab’s hinter mir. Jetzt kann ich nicht mehr. Gut, dass der Schmerz zu Ende ist.“ So gesehen wäre Karfreitag das Ende der Hoffnung, das Ende des Lebens.
So sieht es, wer Karfreitag und Ostern auseinanderreißt und für wen der Tag dazwischen keine Brücke, sondern ein unüberwindlicher Graben ist. Ich dagegen möchte dazu ermutigen, Karfreitag und Ostern im inneren Zusammenhang zu verstehen. Wer das tut, erkennt zweierlei: Wir leben immer noch in einer Karfreitagswelt, aber durch Ostern auch schon in einer Welt, in der das Leben in Gott das letzte Wort hat.
„Es ist vollbracht!“ ist also kein Stoßseufzer der Erleichterung, sondern der Ausruf des Menschen und Gottessohnes Jesus, der weiß, dass nach ihm die Welt eine andere ist, oft auch gegen den Augenschein. Darum leben wir im Glauben an eine Wirklichkeit, die nicht dem Karfreitag den Triumph überlässt, sondern die das Licht des Ostermorgens kennt. Dem Leben, nicht dem Tod gehört der Sieg! Das feiern wir an Ostern.“
Ihr Frank Otfried July