Mehr Lebensqualität, Geld- und Sachleistungen für arme Menschen: Das wünscht sich Eva Haag (64). Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie ehrenamtlich in der Stuttgarter Vesperkirche mit und ist überzeugt: „Es ist genug für alle da. Eigentlich.“
Alles hat damit angefangen, dass meine Tochter mit ihrer Schulklasse die Vesperkirche besuchte. Als Elternvertreterin ging ich mit und war beeindruckt von dem Dienst, der dort geleistet wird. Seitdem bin ich dabei. Das sind jetzt mehr als 20 Jahre, doch die Begeisterung bleibt. Inzwischen gehöre ich zum Leitungsteam, aber der unmittelbare Kontakt zu den Gästen gefällt mir am besten. Zum Beispiel bei der Geschirrrückgabe. Ich kenne viele, die da kommen, und freue mich, sie wieder zu sehen. Und die freuen sich, wenn sie jemand wahrnimmt, auf gleicher Augenhöhe mit ihnen spricht. Ihre Freude steckt an und tut mir selber gut.
Auch wenn ich sie das Jahr über auf der Straße sehe, gehe ich auf sie zu und spreche sie an. Häufig sehe ich dann viele verunsicherte Blicke der Passanten. Aber die Leute sollen sehen, Arme sind keine Aussätzigen, sondern ganz normale Menschen. Und manche waren durchaus mal gesellschaftlich gesattelt und sind dann abgestürzt.
Meine Motivation? Na dass ich vielen Leuten helfen kann, denen es nicht so gut geht wie mir. Und dass ich spüre, dass meine Hilfe direkt ankommt, ob ich nun Essen ausgebe oder mir Zeit für ein Gespräch nehme. Sicher spielt da meine Prägung auch eine Rolle. Ich habe schon beim CVJM mitgemacht, als der noch „Christlicher Verein junger Männer“ hieß und bin heute im Kirchengemeinderat meiner evangelischen Gemeinde engagiert.
Ich finde es gut, dass meine Kirche hier Gesicht zeigt, sich engagiert und dass es die Vesperkirche gibt. Aber es macht mich auch traurig, dass solche Angebote nötig sind. Dabei ist genug für alle da. Eigentlich. Aber der Umgang mit den Ressourcen und die Verteilung stimmen nicht. Wir sehen doch, wie viel weggeworfen wird und wie ungleich Armut und Reichtum verteilt sind. Weltweit, aber auch bei uns im Land. Die Schere geht immer weiter auseinander. Das konnte ich auch in den mehr als 20 Jahren Vesperkirche beobachten. Und ich weiß, es gibt viele, die so bedürftig sind, dass sie solche Angebote bräuchten, aber vor Scham nicht kommen.
Wenn ich mir was wünschen dürfte, wäre es, dass die Menschen, die hierher kommen, mehr Lebensqualität, auch mehr Geld- und Sachleistungen bekommen. Dass noch mehr diese Hilfe schätzen lernen. Und dass diejenigen, die mehr aus ihrem Leben machen wollen, auch die Kraft dazu aufbringen können und nicht vom kleinsten Schicksalsschlag wieder umgehauen werden.
Eva Haag (64) ist gelernte Bauingenieurin. Die Stuttgarterin war bis zum Eintritt in ihren Ruhestand Gesellschafterin eines Ingenieurbüros mit 50 Beschäftigten und dort in leitender Position tätig. Seit mehr als 20 Jahren engagiert sie sich in der Stuttgarter Vesperkirche.