23.01.2019

„Ausnahmefrauen unter Männern“

100. Jahrestag des Kirchlichen Frauenwahlrechts (1919)

Als das allgemeine Wahlrecht für Frauen eingeführt worden war, hat sich auch die Landeskirche mit dem kirchlichen Wahlrecht für Frauen befasst und es nach kontroversen Diskussionen am 23. Januar 1919 beschlossen. Damit wurde auch die Wahl von Frauen in den Kirchengemeinderat möglich, erstmals bei der Wahl am 7. Dezember 1919. Am 23. Januar jährt sich dieser Beschluss zum 100. Mal.

Der Stuttgarter Kirchengemeinderat 1930

Im Januar 1919 hatte die 8. Synode der württembergischen Landeskirche die Aufgabe, sich mit verschiedenen neuen Anforderungen nach dem Wegfall der Monarchie auseinanderzusetzen. Dazu zählte auch, dass am 12. November 1918 das volle Wahlrecht für Frauen eingeführt worden war, für das die Frauenbewegung, teilweise auch die kirchliche, vehement gestritten hatte.

Die Kirchenleitung befürwortete das volle aktive und passive Wahlrecht, was bedeutete, dass Frauen sowohl Wählerin als auch Gewählte sein können. Sie fand kein bindendes direktes Gebot oder Verbot Jesu für diese Frage und betonte die „rege Tätigkeit der Frau im kirchlichen Leben, worin sie vielfach die Männerwelt beschämt.“

Martha Krockenberger

Diskussion in der Synode

Frauen konnten zwar nicht mitreden, aber es wurde über sie geredet. Kämpferische Frauen wurden zur Abschreckung oder Belustigung gegen „kirchlich gesinnte“ gestellt, die anscheinend ihren Schöpfungsauftrag als beratende Gehilfin besser verstanden hatten. Die Anführung wahlunwilliger Frauen wurde mit dem Verweis auf die anderen gekontert, die Mutterrolle mit dem kriegsbedingten Frauenüberschuss. Für einige Redner hatten die Frauen während des Krieges und im Beruf ihre Leistungsfähigkeit in allen Bereichen unter Beweis gestellt. 

Der am heftigsten diskutierte biblische Satz war 1 Kor 14,34: „Das Weib schweige in der Gemeinde“. Er wurde in Referaten ausgeleuchtet, als göttliches Verbot verstanden, historisch-kritisch richtig als spätere Ergänzung ausgewiesen, in seiner Situation verortet oder gar als „bequem“ und Vorwand für einen „Herrenstandpunkt“ aufgedeckt. In den Diskussionsbeiträgen lassen sich zwei konträre Grundpositionen erkennen: Die eine ging von einem, als Schöpfungsordnung ausgegebenen, hierarchischen Verständnis der Geschlechter aus, das dem Mann die Entscheidungen und der Frau deren Ausführung zuschrieb. Die andere stand in Auseinandersetzung mit den Frauen selbst und deren Anliegen, nahm sie ernst und wollte das auch kirchenpolitisch umsetzen.   

Spät nachts, kurz vor zwei Uhr, wurde das allgemeine kirchliche Wahlrecht mit 38 zu 15 Stimmen beschlossen.  

Gewählte Frauen

Das zur Beruhigung der Gegner vielgebrauchte Argument, eine gewählte Frau würde eine große Ausnahme darstellen, sollte sich für die Synode bewahrheiten. Zwar ließen sich ab jetzt immer Frauen zur Wahl aufstellen, aber erst 1931 war Martha Krockenberger, die Vorsitzende der Frauenabteilung des Evangelischen Volksbundes und des Evangelischen Arbeiterinnenvereins, die erste Frau in einer Synode, die einzige unter damals 67 Mitgliedern.

Bei der Wahl zum Kirchengemeinderat am 7. Dezember 1919 wurden viele Frauen, die sich in den Gemeinden schon lange eingebracht hatten, zur Wahl aufgestellt. Weit mehr als die Hälfte wurde auch sofort gewählt – meist freilich als die eine Ausnahmefrau unter Männern. In Tübingen aber kamen alle sechs weiblichen Kandidatinnen ins 24-köpfige Gremium.  

Stefanie Schäfer-Bossert 

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