Was bedeutet Buße für einen Christenmenschen? Einsicht in die eigene Schwäche und die Offenheit, sich von Gottes Liebe bewegen zu lassen. Diesen Gedanken erklärt Oberkirchenrat Dr. Jörg Schneider anhand der Geschichte von Maria Magdalena, die Jesus am Grab begegnet. Schneider ist Dezernent für Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche im Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart:
Wenn man all das Elend sieht und all die Niedertracht und all die Habgier, die Verdrängung von Menschen – will man nicht ausrufen: Herr, mach ein Ende! Wir können uns nicht selbst helfen. Wache auf, steh auf, setze dich durch!
Der Herr würde sagen: Ich bin wach, ich sitze auf meinem Thron. Fangt bei euch selbst an!
Können wir aber nicht, antworten wir, wir sind viel zu schwach dazu.
Der Herr würde sagen: Stimmt nicht: Stark genug zur Zerstörung seid ihr! Nutzt eure Energie zum Guten statt zum Schlechten.
So ein Schlagabtausch könnte Stunden gehen. An so einem Dialog wie in einem Gerichtssaal kann man sehen, worin die Spannung besteht. Eigentlich wüssten wir, wie wir uns aus der selbstverschuldeten Verstricktheit lösen könnten. Genauso wissen wir, dass das nicht geht, weil die Verstricktheit stärker ist als unser Wille. Also nichts tun? Warten, bis entweder alles ans Ende kommt oder bis Gott kommt? Das ist keine Alternative. Wir können zumindest beginnen, etwas zu tun. Wir können durchaus Gott in den Ohren liegen. Wir können in uns gehen. Und ganz innen den Punkt suchen, ab dem wir umkehren wollen. Und können. Und es tun werden. Fehlt nur der letzte Anstoß.
Umkehr, wie Maria Magdalena. Eine Ostergeschichte! Eine Osterschichte am Buß- und Bettag? Aber sicher. Kein Tag ohne Ostern, kein Tag ohne Auferstehung. Auch am Buß- und Bettag nicht. Sich umdrehen, aber nicht rückwärtsgewandt. Umkehren, aber nicht die alten Pfade zurück. Weil Maria aus Magdala so exemplarisch umgekehrt ist, haben sich viele Geschichten um sie gerankt. Darunter die, dass sie von der Prostituierten zur Heiligen wurde, also nach einem bestimmten Verständnis die größtmögliche Distanz zurückgelegt hat. Drum wird sie als die exemplarische Büßerin verstanden. Die große Umkehrerin. Wie erging es ihr? Was ist ihr passiert?
Lesen wir den Text aus Johannes 20, 11-18:
Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe. (Johannes 20)
Aufs Erste denkt man: Die zwei stehen im Garten. Stimmt. Aber es gibt sehr viel Bewegung. Innere und Äußere. Magdalena schaut ins leere Grab. Sie sieht die Engel vor sich. Nach der für sie rätselhaften Aufforderung, dass sie nicht weinen soll, dreht sie sich um, um weg zu gehen. Mir scheint, dass Jesus frontal vor ihr steht. Nach dem Missverständnis, dass Jesus der Gärtner sein könnte, dämmert ihr der Ostermorgen. Sie „wandte sich um“ und bekennt das Erkennen. Diese zweite Wendung kann nicht wörtlich gemeint sein. Sonst würde sie Jesus den Rücken zudrehen und wieder ins immer noch leere Grab schauen. Es muss sich um eine innere Wendung handeln. Das leere Grab ist ja uninteressant geworden, dort ist er nicht. Leider muss er fort – „rühre mich nicht an“ meint: Lass mich los, lass mich gehen, halte mich nicht auf. Sie hält ihn nicht auf, sondern „verkündigt“ – sie sagt ihnen an.
Lassen Sie uns die Wendungen nochmals betrachten. Die erste Wendung von der Grabstelle weg kommt von ihr selbst. Sie hat dort nichts mehr verloren, sie will auf die Suche gehen. Irgendwo muss er doch liegen. Er steht aber vor ihr. Das Aussprechen ihres Namens öffnet ihr das Herz. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein und ich bin dein. Ich rätsle immer an dieser Stelle, wie Jesus den Namen ausgesprochen hat. Sanft? Zärtlich? Bestimmt? Leicht vorwurfvoll – du müsstest mich doch erkennen! Jedenfalls fühlte und wusste sie sich erkannt, und erkennt nun ihrerseits. Das wendet sie innerlich um. Ihr Leben wird umgekrempelt. Ihre Überzeugungen. Was ihr wichtig war. Jetzt ist anderes wichtig: Nicht einmal Jesus selbst, sondern die Nachricht: Er lebt!
Was wäre gewesen, wenn sie im ungläubigen Staunen stehen geblieben wäre? Wie die letzten Jünger im Matthäusevangelium? Was wäre gewesen, wenn sie stehen geblieben wäre und das Ereignis innerlich weggewischt hätte? Hat sie nicht. Sie hat sich bewegen lassen. Das war ihre Umkehr. Sie hat sich bewegen lassen. Sie hat den Tod hinter sich gelassen, und den Toten auch. Sie hat die Vergangenheit beerdigt und die Zukunft umarmt – und für andere wieder losgelassen, um das übervolle Herz auszuschütten. Damit andere auch Zukunft hätten. Was für ein Mensch!
Buße ist „Sich bewegen lassen“. Ich denke, dass all unser Selbstbewegen einen kleinen Radius hat. Wir müssen uns und Dinge bewegen, ja. Wir müssen zum Supermarkt und zur Arbeit. Wir müssen Lebenspläne fassen und unsere Kirche transformieren. Wir müssen zum Drucker, wenn auch immer seltener und ich staple grüne Ordner von einer Ecke des Schreibtischs auf die andere. Wir müssen vorausdenken und wir müssen andere bewegen, dass sie was tun. Da sind wir Bewegende und gut geforderte Bewegende. Und machen viel falsch, treffen kurzsichtige Entscheidungen, so dass wir nacharbeiten müssen. Revidieren. Um Entschuldigung bitten. Nachträge konzipieren. Die Resettaste drücken. Einsehen, dass die Realität immer eine andere ist als der Planansatz. Verstehen, dass immer unzulänglich ist, was wir wollen und tun. Wichtiger aber scheint mir, dass wir Bewegte sind. Bewegt von der Kraft aus der Wende der Maria Magdalena. Der ihr geschenkte Anfangsimpuls bewegt uns. Wenn wir unseren Namen hören, hinhören. Aufmerken. Loslassen und losgehen. Weg vom leeren Grab zum voll eingeschenkten Becher und zum gedeckten Tisch. Was wir dort bekommen, sind die wahren Kalorien. Mit ihnen können wir uns dem Alltag und auch der Zukunft unserer Kirche zuwenden. Und Gott in den Ohren liegen, dass er uns bewegen möge.
An einem Buß- und Bettag darf man also zuerst Danken. Danken für die Lebenswende der Maria Magdalena. Danken für ihre Nachricht. Und dann bitten. Bitten um die Fortdauer der Kraft. Bitten um die rechten Worte, die erlösende Nachricht aussprechen zu können. Bitten um Wende zu Jesus Christus hin. Bitten um Wende von uns selbst weg zum Leben und zum Licht.
Amen
Oberkirchenrat Dr. Jörg Schneider, Dezernent für Theologie, Gemeinde und weltweite Kirche
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