Wie lässt sich eine gerechte und inklusive Arbeitswelt gestalten? Ein EKD-Fachforum hat sich vom 20. bis 21. November damit befasst. Sabine Foth sprach dort beim Fachtag und gab aus verschiedenen Perspektiven Einsicht in das Thema: als Arbeitgeberin, Synodalpräsidentin und als Ehrenamtliche ihrer Kirchengemeinde.
Den Text finden Sie hier im Wortlaut:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit meinem Impuls möchte ich die Frage der Inklusion aus Arbeitgebersicht, als Ehrenamtliche in der Gemeindearbeit und als Präsidentin einer Synode in den Blick nehmen.
Inklusive und gerechte Arbeitswelt aus Sicht als Arbeitgeber
Der Württembergische Evangelische Landesverband für Kindergottesdienst, dem ich als 2. Vorsitzende angehöre, ist Eigentümerin des Tagungshauses Schloss Beilstein. Vor etlichen Jahren hatten wir uns die Frage gestellt, ob wir Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen einstellen. Wie passt ein Mensch mit Behinderungen in das bestehende, eingespielte, achtköpfige Team? Kann mit Behinderungen beispielsweise die manchmal schnelle Taktung bei An- und Abreisen von Gästen gemeistert werden? Solche Fragen haben uns intensiv beschäftigt. Sehr schnell jedoch haben wir uns entschieden, den Aufbruch zu wagen. Wir konnten einen Mitarbeiter einstellen, und ich kann sagen, dass vor einem Jahr bei seinem zehnjährigen Dienstjubiläum nicht nur er, sondern das ganze Team sehr stolz war bei der Feier. Natürlich war es ein Lernprozess für alle, wenn es darum ging, die Abläufe im Haus zu kommunizieren, zu erlernen oder auch anzupassen. Ein kleines konkretes Beispiel ist, dass seine direkte Ansprechperson bei Arbeitserläuterungen und -anweisungen nicht mit Texten gearbeitet hat, sondern mit Piktogrammen. Das gesamte Team ist im Laufe der Einarbeitung stärker zusammengewachsen, hat gelernt, sich gegenseitig zu unterstützen, und (ungeahnte) Talente im Umgang miteinander entdeckt, wie eben etwa die Idee mit den Piktogrammen, die gemeinsam mit dem neuen Mitarbeiter entwickelt wurde. Unsere jährliche Sommerfreizeit, bei der im Schloss während einer Woche ein Singspiel geprobt und aufgeführt wird, ist seit einem Jahr ebenfalls inklusiv und war dieses Jahr, wie auch die Vorstellung des Singspiels selbst, so fröhlich wie lange nicht. Für die langjährig Mitarbeitenden wurde deutlich, dass für die Qualität der Freizeit und der Aufführung nicht allein die musikalische und darstellerische Qualität entscheidend ist, sondern es war diesmal ein ganz besonderes Gemeinschaftserlebnis.
Inklusive und gerechte Arbeitswelt aus Sicht als Ehrenamtliche in der Kirchengemeinde
Wir gehen ja von einem weiten Inklusionsbegriff aus und da muss ich - jetzt als Ehrenamtliche in der Gemeinde und verschiedenen Gremien - sagen, ist durchaus Luft nach oben. Wo haben wir Menschen in unserer Gremienarbeit, die in prekären Lebensverhältnissen leben? Eine bekannte Frage. Ich kann von meiner eigenen Gemeinde sagen, einer Gemeinde, die sowohl Stuttgarter Halbhöhe mit teurer Wohnlage als auch Tallage mit Sozialwohnungen umfasst, dass solche Menschen sich oft gerne engagieren, aber eher mit praktischer Arbeit als mit der manchmal trockenen Verwaltung und konzeptionellen Gestaltung von Gemeinde und Gemeindearbeit in einem Gremium.
Uns allen ist das bewusst. Und doch sind wir, da nehme ich mich nicht aus, so in unseren Strukturen und Abläufen verhaftet, dass wir nicht offen genug unterwegs sind. Aber wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir uns das bewusst machen und unsere Haltung ändern. In diesem Jahr wurden in vielen Gemeinden große Tauffeste gefeiert. Es ging, jedenfalls aus meiner Sicht, nicht nur darum, die Taufzahlen zu erhöhen, sondern auch darum, ein kirchliches Angebot niederschwelliger zu gestalten. Bei uns in Stuttgart haben wir ein großes Tauffest um, in und auf dem Fernsehturm gefeiert. Manche hielten es ausschließlich für ein Event. Aber - ich war den ganzen Tag vor Ort engagiert - es war eine Gelegenheit, Menschen mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund zu erreichen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und miteinander ins Gespräch zu bringen. Ein Gespräch mit einem lesbischen Paar, das als Taufpaten teilgenommen hat, ist mir persönlich besonders nahe gegangen. Sie haben sich bedankt, dass sie das erste Mal seit langer Zeit christliche Gemeinschaft gespürt hätten. Wir wollen - wir reden viel davon - offen sein für die Vielfalt unserer Gesellschaft. Manchmal sollten wir uns selber mehr Mut machen, um nicht zu sagen, über unseren Schatten springen, auf die Menschen zugehen und nicht abwarten. Eigentlich können wir das!
Inklusive und gerechte Arbeitswelt aus Sicht als Präsidentin der Landessynode
Ich komme zur Perspektive als Präsidentin der Landessynode. Auch hier fehlt es der Synode als Gremium ganz klar an der weiten Inklusion. Das kann man nicht bestreiten, und auch wenn wir gerne darüber sprechen, aus der „kirchlichen Blase“ hinauszutreten - unsere Diskussionen sind alle oder fast alle sehr in der „Blase“. Schauen wir uns die Sprache in unseren Debatten an. So schrecken die manchmal sehr theologische Begrifflichkeit und die zahlreichen Abkürzungen manche Menschen ab. Wir sollten hier sensibler sein, in unseren Synoden und in unseren Gottesdiensten. Ganz konkret etwa werden nur wenige einzelne Teile der Sitzungen in Gebärdensprache übersetzt. Diese Übersetzung ist ohnehin nur vor Ort, im Livestream jedoch mangels ausreichender visueller Erkennbarkeit wenig sinnvoll. Eine Untersuchung hat ergeben, dass eine lesbare laufende Untertitelung das finanzielle Budget der Landessynode überfordert. Als Landessynode sind wir das gesetzgebende Organ der Kirche und für die rechtlichen Vorgaben von Inklusion verantwortlich. Natürlich müsste das alles auch ohne kirchengesetzliche Regelungen gehen, aber leider ticken die Menschen anders. Rechtsverbindlichkeit ist erforderlich, damit auch wir als Kirche und Diakonie mit Ernsthaftigkeit die Regelungen der UN-Behindertenkonvention umsetzen, Regelungen des neunten Sozialgesetzbuches sowie beispielsweise des Arbeitsrechtsregelungsgesetzes übernehmen. Teilweise haben wir das schon auf dem Papier getan und sind nun in der praktischen Umsetzung. Ich denke da insbesondere an die Installierung der Inklusionsbeauftragten, die Inklusion nicht nur mit einem geringen Anteil am Dienstauftrag als Alibi haben sollten.
An vielen Stellen unserer Kirche und in der Diakonie werden kleine und größere Schritte getan. Ich wünsche mir, dass wir uns dabei noch mehr vernetzen, um Erfahrungen zu teilen und voneinander zu lernen. Der gestrige und der heutige Tag diente einer solchen Vernetzung. An uns ist es nun, auch anderen Mut zu machen zu weiteren Schritten und zur Vernetzung und auch mal Zuversicht zu schöpfen aus dem, was schon gelingt. Und lassen Sie uns nicht vergessen, dass das Gelingen von Inklusion die Partizipation der Betroffenen bei der Ermittlung ihrer tatsächlichen konkreten Bedarfe voraussetzt.
Bei uns in Württemberg, sicherlich nicht anders als in anderen Landeskirchen, sind bei der Landeskirche und bei allen kirchlichen Einrichtungen viele Prozesse der Umstrukturierung und Sparmaßnahmen etc. parallel zu stemmen. Das raubt oft den Atem und die Energie, das alles zusätzlich inklusiv zu gestalten. Trotzdem wünsche ich mir, dass wir hier nicht den Rotstift ansetzen und wir zur Haltungsänderung in der Gesellschaft beitragen, das kann auch in kleinen Schritten geschehen.
Kirchengemeinden sind herzlich eingeladen, Texte wie diesen von www.elk-wue.de in ihren eigenen Publikationen zu verwenden, zum Beispiel in Gemeindebriefen. Sollten Sie dabei auch die zugehörigen Bilder nutzen wollen, bitten wir Sie, per Mail an kontakt