In Karlsruhe ist am Donnerstag die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zu Ende gegangen. Neun Tage lang haben rund 3.000 Teilnehmer aus 120 Ländern über die zukünftige Ausrichtung der Ökumene diskutiert sowie über aktuelle Krisen und Herausforderungen. Beraten wurde neben geistlichen Themen über die Folgen des Klimawandels und den Ukraine-Krieg. Vor allem Teilnehmer aus dem globalen Süden haben zu einer gerechteren Wirtschaftsordnung aufgerufen. Hier finden Sie eine Übersicht über die großen Themen des Treffens.
Dr. Christine Keim, Leiterin des Referats Mission, Ökumene und Entwicklung im evangelischen Oberkirchenrat, hat an der Tagung vor Ort teilgenommen (mehr lesen Sie hier) und zieht ein positives Fazit: „Die ökumenische Bewegung geht gestärkt aus der Vollversammlung hervor. Die Versammlung wird nicht in Erinnerung bleiben als eine, bei der leidenschaftlich debattiert und gerungen wurde. Aber der ÖRK hat sich trotz aller komplexen Themen nicht gespalten. Für mich war es eine sehr bereichernde Erfahrung, mit Christinnen und Christen aus aller Welt zu singen, zu beten und den gemeinsamen Glauben zu teilen. Die Vollversammlung hat auf vielfältige Weise davon Zeugnis abgelegt, was es heutzutage heißt: Christi Liebe bewegt, versöhnt und eint die Welt.“
Schon im Vorfeld der Vollversammlung hatte Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl die Diskussionen und Kontroversen der Tagung den Kirchengemeinden zur Fürbitte empfohlen und sich dabei in einem der spannungsreichsten Themen - dem Nahostkonflikt - klar gegen die Bewertung der israelischen Politik als Apartheid positioniert. Den Volltext seiner Position finden Sie hier.
EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus sagte zum Abschluss: „Gerade die Stimme von unmittelbar Betroffenen hat ein besonderes Gewicht - das gilt für den Krieg in der Ukraine ebenso wie für die Konflikte im Nahen Osten, das gilt für den Klimawandel und viele andere aktuelle Themen. Meine eigene Sicht ist in vielen Fällen ein Blick von außen, das dürfen wir nie vergessen.“ Für die Zukunft wünscht sich die, „dass von dieser Vollversammlung starke Impulse und hoffnungsvolle Signale ausgehen in die weltweite Christenheit, für die Arbeit des ÖRK und mitten hinein in eine Welt, die voller Konflikte und tiefgreifender Krisen ist“.
Die Landesbischöfin der badischen Landeskirche, Heike Springhart, fügte hinzu: „Die Vollversammlung war ein bewegendes Zeugnis davon, dass die christlichen Kirchen über alle Divergenzen hinweg verbunden sind durch die Orientierung an Jesus Christus als Haupt und Herz der Kirchen. Das war spürbar in den Gottesdiensten und Andachten und hat auch auf die Region und die Stadt ausgestrahlt.“ Sie sei dankbar dafür, dass mit der Vollversammlung die „mitreißende Weite der weltweiten Christenheit in unsere Region und nach Karlsruhe kam“. Springhart: „Wir sind reich beschenkt worden.“
Die Delegierten haben den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine scharf verurteilt. Die Abgesandten bekräftigten zum Abschluss der Tagung in einer Erklärung nachdrücklich, dass Krieg mit dem Wesen Gottes unvereinbar sei. Jeder Missbrauch religiöser Sprache und Autorität zur Rechtfertigung von bewaffneter Aggression und Hass sei abzulehnen. In einer Erklärung heißt es: „Wir appellieren an alle Konfliktparteien, die Grundsätze des humanitären Völkerrechts zu respektieren.“ Die Zivilbevölkerung und zivile Infrastruktur müssten geschützt, Kriegsgefangene human behandelt werden.
Man schließe sich dem Gebet für „alle Opfer dieses tragischen Konflikts in der Ukraine“ an. Das Leiden müsse ein Ende haben. „Wir fordern alle Parteien auf, sich zurückzuziehen und von Militäraktionen in der Nähe des Kernkraftwerks Saporischschja und anderer solcher Orte abzusehen, die unvorstellbare Gefahren für heutige und künftige Generationen bergen“, heißt es in dem Text. Die Anwesenheit von Geistlichen aus der Ukraine und der multinationalen Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche auf der Vollversammlung sei ein Zeichen, dass der ÖRK als Forum dienen könne.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte zum Auftakt des Welt-Ökumene-Gipfels in Karlsruhe die russisch-orthodoxe Kirchenleitung in ungewöhnlich scharfer Form angegriffen. „Auf einen schlimmen, ja geradezu glaubensfeindlichen und blasphemischen Irrweg führen zurzeit die Führer der Russisch-Orthodoxen Kirche ihre Gläubigen und ihre ganze Kirche“, sagte Steinmeier unter großem Applaus der Delegierten.
Die russisch-orthodoxe Kirchenführung habe sich mit den „Verbrechen des Krieges gegen die Ukraine gemein gemacht“, erklärte Steinmeier. Sie rechtfertige „einen Angriffskrieg gegen die Ukraine - gegen ihre eigenen, gegen unsere eigenen Brüder und Schwestern im Glauben“, fügte er hinzu. Diese Propaganda müsse auf dem Ökumene-Gipfel in Karlsruhe auf Widerspruch stoßen, an dem sowohl Vertreter der russisch-orthodoxen als auch der ukrainischen Kirchen teilnehmen.
Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne), sagte, für ihn sei es „unfassbar“, dass sich der Moskauer Patriarch Kyrill vor „Putins Karren spannen“ lässt. Kyrill gilt als enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin und unterstützt Russlands Vorgehen in der Ukraine.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sagte mit Blick auf den Ukraine-Konflikt, „Christi Liebe“ dulde keinen Angriffskrieg. Die westfälische Präses erinnerte an die Unverletzlichkeit der menschlichen Würde, wie sie im deutschen Grundgesetz garantiert sei
Der ÖRK dringt auf mehr Engagement im Kampf gegen den Klimawandel. „Wenn wir jetzt nicht handeln, wird dies später als Verbrechen gegen die Kinder geahndet“, sagte die Sonderberaterin für Kinderrechte beim ÖRK, Frederique Seidel, am Dienstag vor Journalisten in Karlsruhe. Die Umwelt zu schützen, sei eine Frage von Rechten der zukünftigen Generationen, mahnte Seidel. Banken und Finanzsektor dürften nicht mehr in fossile Energiequellen investieren. „Das ist heute die effektivste Maßnahme zum Kinderschutz“, sagte Seidel.
Die Klimakrise betreffe diejenigen am meisten, die dafür am wenigsten verantwortlich seien, sagte die Klima-Aktivistin Jessica Bwali aus dem südostafrikanischen Sambia. Sie rief die Menschen vor allem im globalen Norden auf, sich darüber im Klaren zu sein, welche Auswirkungen ihr Lebensstil für die Menschen im globalen Süden hat.
Der Einsatz gegen den fortschreitenden Klimawandel sei vor allem für die Kinder der Zukunft unabdingbar, sagte Masimba Lovemore Kuchera, Vorsitzender der Kommission der Kirchen für internationale Angelegenheiten (CCIA). „Hört auf die Kinder und hört auf die Wissenschaft“, mahnte der Direktor des Zentrums für Behinderung und Entwicklung in Simbabwe vor Journalisten in Karlsruhe.
Die evangelische Friedensarbeit wies auf gravierende Auswirkungen des Militärs auf den Klimawandel hin. Das gelte nicht nur im Krieg, „sondern auch in Friedenszeiten“, erklärte die Konferenz für Friedensarbeit im Raum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): „Kriege hinterlassen verbrannte Erde, Munitionsreste lagern noch lange nach Kriegsende auf dem Meeresboden oder auf Landflächen, Militärfahrzeuge verbrauchen Unmengen an Treibstoff, auch in Manövern.“
Der ÖRK fordert einen schnellen weltweiten Wechsel von fossilen Brennstoffen hin zu grünen Energieträgern. Dieser Übergang müsse gerecht und so schnell wie möglich vollzogen werden, erklärte die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Klimawandel des Weltkirchenrates, Joy Kennedy. Sie forderte eine effektive globale klimapolitische Zusammenarbeit. Gelinge das nicht, wird es „vielleicht keine nächste Vollversammlung mehr geben“. Die Covid-Pandemie habe gezeigt, dass Regierungen durchaus in der Lage seien, bei drängenden Problemen schnell zu handeln.
Nicht Corona, sondern der Klimawandel sei „immer noch die größte Bedrohung für unseren Planeten“, sagte der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., in einer Videobotschaft. Er rief vor allem vermögende Länder zu einem nachhaltigen, maßvollen und bescheidenen Lebensstil auf. Werde der Anstieg der globalen Temperatur nicht beschränkt, werde die Zahl der Toten infolge des Klimawandels alle durch Infektionskrankheiten hervorgerufenen Sterbefälle in den Schatten stellen, mahnte der „grüne Patriarch“. Bartholomäus tritt seit Jahrzehnten für mehr Klimaschutz und mehr soziale Gerechtigkeit ein.
Der Weltkirchenrat hat zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten aufgerufen. „Wir sind der Meinung, dass nur durch ein Ende der Besatzung und eine gerechte, umfassende und dauerhafte Friedensregelung die Sicherheit sowohl der Palästinenser als auch der Israelis gewährleistet werden kann“, heißt es in einer Erklärung.
Uneinig sind die 352 Mitgliedskirchen allerdings bei dem Begriff „Apartheid“, der in der Erklärung enthalten ist. Darin erklärt der ÖRK Israel nicht zum Apartheidstaat. Vor einer Bezeichnung Israels als Apartheidstaat durch den ÖRK hatten vor der Tagung vor allem Antisemitismus-Beauftragte und jüdisch-christliche Verbände gewarnt. In dem Statement wird allerdings darauf hingewiesen, dass internationale, israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen die Politik und die Maßnahmen Israels als „Apartheid“ im Sinne des Völkerrechts beschreiben.
In einer überarbeiteten Fassung wird betont, dass einige ÖRK-Mitgliedskirchen eine solche Bewertung für richtig halten, andere diese Bezeichnung als unangebracht ablehnen. Dazu sagte die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bosse-Huber, am Dienstagabend vor dem Plenum: „Aber, das sage ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit, als Leiterin der EKD-Delegation: Wir werden von Israel nicht als einem Apartheidstaat sprechen.“
„Ich weiß, dass diese tiefe Verbundenheit mit unseren jüdischen Geschwistern, die zur DNA unserer deutschen protestantischen Kirchen und unserer deutschen Gesellschaft insgesamt gehört, für viele internationale kirchliche Partner schwer nachvollziehbar ist“, heißt es in der schriftlichen Erklärung Bosse-Hubers weiter.
Diese tiefe Verbundenheit mit Israel sei für die deutschen Kirchen „ein kostbares und unverdientes Geschenk: Sie ist auf dem Boden unendlicher deutscher Schuld, auch der Mitschuld unserer eigenen Kirchen, entstanden“, fügte Bosse Huber in ihrer Erklärung hinzu. Auf dem Hintergrund „dieser doppelten Solidarität mit Israel und Palästina werden wir auch in Zukunft zusammen mit unseren Geschwistern auf beiden Seiten des Konflikts für einen verlässlichen und gerechten Frieden im Nahen Osten kämpfen“.
Der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl hatte sich in dieser Frage schon vor der Vollversammlung klar positioniert und die Bezeichnung Israels als „Apartheidstaat“ in aller Deutlichkeit abgelehnt: „Den Staat Israel als ‚Apartheidsstaat‘ zu bezeichnen, ist sachlich falsch und verdreht die historischen Tatsachen. Ich setze mich entschieden für die Existenz des Staates Israel ein sowie dafür, das jüdisch-christliche Gespräch weiter zu fördern. Dies schließt auch den kritischen Dialog mit ein. Gleichzeitig hören wir auf die Stimmen der Mitgliedskirchen aus dem Heiligen Land.“ Gohl schloss sich ausdrücklich der ausführlichen Stellungnahme der „AG juden&christen“ an. Das vollständige Statement von Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl finden Sie hier.
Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Ökumene-Tagung forderten mehr Frauen in kirchlichen Leitungsämtern. Alle 352 Mitgliedskirchen des Weltkirchenrates sollten die Ordination von Frauen zum geistlichen Amt zulassen, sagte die US-amerikanische Pastorin Karen Georgia Thompson der United Church of Christ (UCC). In vielen Kirchen weltweit sind Frauen weiter von der Ordination ausgeschlossen.
Für neue Wege in der Ökumene haben Theologen geworben. Es müsse heute vor allem darum gehen, Spaltungen zwischen den Kirchen zu überwinden, sagte der Direktor der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK, der brasilianische Theologe Odair Pedroso Mateus, am Montag vor Journalisten. Er sprach sich für eine „Ökumene der Herzen“ aus. Das Streben nach Einheit dürfe nicht in intellektuellen Debatten stehen bleiben.
Allerdings beobachte er ein Auseinanderdriften in der ökumenischen Bewegung. Während sich der Weltkirchenrat auf dem Weg zur sichtbaren Einheit der Kirchen befinde, spalte sich die nicht-katholische Christenheit immer weiter auf, in zurzeit Schätzungen zufolge rund 70.000 Denominationen, also unterschiedliche christliche Religionsgemeinschaften, Kirchen oder Freikirchen.
Die EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber sagte hingegen im Rückblick, sie habe eine neue Leidenschaft für das ökumenische Netzwerk der Kirchen weltweit erlebt. Bosse-Huber: „Vielleicht verdankt sich dieser neue ökumenische Ernst der klaren Erkenntnis vieler Kirchen, dass wir den globalen Krisen wie der Klimakrise, Rassismus oder der eskalierenden privaten und öffentlichen Gewalt an so vielen Orten nur gemeinsam begegnen können.“
Der ÖRK fordert von der Staatengemeinschaft, Konflikte in Zukunft ausschließlich gewaltfrei zu lösen. „Krieg ist keine Option“, sagte Azza Karam, Generalsekretärin von Religions for Peace. Die Religionen müssten sich gemeinschaftlich mehr für den Frieden und eine gerechtere Welt einsetzen, fügte die Muslima und Professorin für Religion und Entwicklung hinzu. Dabei dürften sich Religionen nicht von der Politik vereinnahmen lassen. Religions for Peace ist nach eigenen Angaben die weltweit größte multireligiöse Nichtregierungsorganisation.
„Brot für die Welt“-Präsidentin Dagmar Pruin mahnte mehr Anstrengungen zur Entschärfung der weltweiten Hungerkrise an. Der Ukraine-Krieg habe die Hungersnot zwar verstärkt, aber nicht ausgelöst, sagte Pruin auf dem Ökumene-Gipfel in Karlsruhe. Weltweit seien 828 Millionen Menschen unterernährt. Die Nothilfe müsse global aufgestockt werden.
Mit Material von epd