Ludwigsburg. Auch für die Notfallseelsorge ist die Corona-Zeit eine Ausnahmesituation, sagt Ulrich Gratz, Leiter der Notfallseelsorge im Landkreis Ludwigsburg und evangelischer Pfarrer in Oberriexingen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt er, wie die Notfallseelsorge sich auf die Pandemie eingestellt hat und was Menschen tun können, die sich vor dem Virus fürchten.
Herr Gratz, was hat sich seit Corona in Ihrer Arbeit als Notfallseelsorger verändert?
Anfangs mussten wir überlegen, wie wir dafür sorgen, dass die Mitarbeiter sich nicht selbst in Gefahr bringen, oder sich durch ihren Dienst anstecken und das Virus weitergeben. Gemeinsam mit dem Roten Kreuz und dem Katastrophenschutz haben wir verschiedene Maßnahmen entwickelt: So können Mitarbeiter ohne Gesichtsverlust freiwillig während der Pandemie pausieren, und jeder Einsatz kann abgelehnt und auch abgebrochen werden. Außerdem tragen die Notfallseelsorger FFP2-Masken bei ihrem Einsatz, bei Corona-Verdacht gibt es zudem zusätzliche Ausrüstung bis hin zum Vollschutz.
Die Supervision nach den Einsätzen wird wichtiger, da die Gesamtsituation angespannter ist. Beispielsweise können Menschen, denen man begegnet, schon ziemlich auf Kante sein, bevor wir kommen und ihnen einen unvorhergesehenen Todesfall übermitteln. Das kann sie dann noch härter erwischen, als es sie sowieso schon ohne Corona getroffen hätte. Mit zunehmender Einsamkeit oder anderen Problemen, die durch Corona verschlimmert werden, haben auch die normalen Seelsorger wie Pfarrer verstärkt zu tun.
Gibt es seit der Pandemie mehr Einsätze in der Notfallseelsorge?
Noch gibt es keine Häufung von Suiziden oder häuslicher Gewalt, zu denen wir gerufen werden. Aber ich erwarte, dass eine solche Steigerung von Fällen zeitverzögert auftritt. Außerdem waren wir von Anfang an eingebunden bei der Erstellung von Konzepten für die psychosoziale Notfallversorgung von Mitarbeitern in Kliniken. Denn man hat befürchtet, dass diese wegen der erwarteten Überlastung der Kliniken wie in Italien gezwungen werden, entscheiden zu müssen, wer an das Beatmungsgerät darf und wer nicht und deshalb enormer Belastung ausgesetzt sind. Dank entsprechender Maßnahmen ist das zum Glück nicht eingetreten.
Was raten Sie als Seelsorger den Menschen, die in Angst leben wegen der Corona-Pandemie?
Glaubt nicht alles! Und nehmt nur Leute ernst, die das auch verdient haben. Ich kann nicht verstehen, welches Interesse Leute haben können, Verschwörungstheorien der blödesten Art in die Welt zu setzen. Außerdem sind Pfarrer per Telefon weiterhin seelsorgerlich erreichbar. Vielerorts sind Kirchen geöffnet für eine persönliche Andacht, oder um Gebete aufzuschreiben, oder Kerzen anzuzünden.
Ich würde jedem raten, aus der Opferhaltung rauszugehen und zu sagen, ich packe mein Leben mit beiden Händen an und gestalte es in dem Rahmen, in dem es geht. Gerade in dieser Zeit kann man die Kommunikation intensivieren, die Gespräche über den Gartenzaun, die unverhofften Anrufe. Man kann sich auch hinsetzen und ganz altmodisch einen Brief oder ein Tagebuch schreiben.
epd-Gespräch: Judith Kubitscheck