„Hier ist noch Platz.“ So lautet das Thema der fünften Woche der Fastenaktion „Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge“. Samuel Hayer (23) ist Student und lebt in Bietigheim-Bissingen (Landkreis Ludwigsburg) in einer Wohngemeinschaft zusammen mit sechs anderen jungen Männern. Zwei davon sind Syrer und zwei Iraker.
Ein Kommilitone hat mich eines Tages gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mich für Flüchtlinge zu engagieren. So kam ich als ehrenamtlicher Helfer zu einem Deutschkurs für Asylbewerber. Dort habe ich Adnan (16) und Laith (21) kennengelernt, zwei junge Iraker. Es hat nicht lange gedauert, bis sie mich zu sich in die Flüchtlingsunterkunft eingeladen haben. Das war der Moment, in dem ich erkannt habe, dass dort in diesem Flüchtlingsheim kaum Integration geschehen kann. 150 Menschen sitzen den ganzen Tag aufeinander, kommen kaum unter die Leute, haben keine Verbindung zur Außenwelt. Im Heim selbst wird nur wenig Deutsch gesprochen. Das ist auch kein Wunder, sie sind ja meist nur unter ihresgleichen. Durch die Schulpflicht haben die Minderjährigen noch ganz gute Chancen sich einzuleben, aber die Volljährigen haben es schwer. Die einzige Schnittstelle zu Deutschen gab es während des Sprachkurses.
Für mich war das alles sehr unbefriedigend. Ich dachte mir: Da muss doch mehr möglich sein, als nur die Sprache zu vermitteln. Somit war die Idee einer Flüchtlings-WG geboren. Acht Monate lang habe ich nach einer Wohnung gesucht. Im November 2015 war es dann soweit.
Mit Flüchtlingen zusammenzuleben macht mir Spaß. Ich studiere an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg Soziale Arbeit und Diakoniewissenschaften im dritten Semester. Ich kann mir sehr gut vorstellen, nach meinem Studium in der Flüchtlingsarbeit tätig zu werden. Ich denke, das bringt mir viel für mein Leben. Neben den beiden Irakern wohnen hier noch zwei Syrer, Ammar (17) und Khidr (18), und zwei Freunde von mir, Philipp (21) und Micha (23). Die minderjährigen Flüchtlinge werden von einem Sozialarbeiter betreut. Der kommt drei- bis viermal die Woche vorbei, lernt mit ihnen Deutsch, spricht über Probleme, macht aber auch viele administrative Sachen. Das wäre genau mein Ding: zu den Menschen nach Hause gehen, sie betreuen und begleiten, bis sie dann selbstständig zurechtkommen.
Egal mit wem ich spreche, versuche ich unsere WG ins Gespräch zu bringen. Dabei habe ich das Gefühl, dass in den Köpfen der Menschen ein Umdenken stattfindet. Sie sehen, dass es diese Möglichkeit der Flüchtlingsunterbringung gibt, und unsere WG zeigt, dass das Zusammenleben funktionieren kann. Der Bedarf ist groß, und nur im Gespräch werden die Menschen darauf aufmerksam. Allein im Kreis Ludwigsburg gibt es über 100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Und gerade die brauchen eine Familie. Wir können ihnen eine Familie bieten.
Unter unserem Dach leben drei Religionen friedlich zusammen: zwei Muslime, zwei Jesiden und drei Christen. Letzte Woche haben wir bei arabischer Musik zusammen Spätzle gepresst. Das nenne ich interkulturellen Dialog! Wir versuchen im Alltag einerseits die deutsche Kultur weiterzugeben, auch das Christentum zu leben, wollen auf der anderen Seite aber auch von unseren syrischen und irakischen Mitbewohnern lernen. Klar gerät man da auch mal aneinander, aber die Unterschiede der verschiedenen Kulturen live mitzuerleben, darüber dann zu sprechen und auf diese Weise gegenseitig voneinander zu lernen, empfinde ich als eine riesige Bereicherung für mein Leben.
Was dabei ganz wichtig ist: Es muss auf Augenhöhe geschehen. Man muss ihnen zeigen, dass sie gebraucht werden. Das ist in unserer WG elementar. Wir versuchen sie überall zu integrieren und immer ein Miteinander zu schaffen. Es darf nicht das Gefühl entstehen, dass das ein einseitiges Helfen von oben herab ist. Jeder von den Flüchtlingen möchte etwas zurückgeben, ein Teil des Ganzen sein. Das ist Integration: Geben und Nehmen.