Verkaufsoffene Sonntage in Baden-Württemberg sind in den vergangenen beiden Jahren vor den Verwaltungsgerichten gescheitert - in Stuttgart und Heilbronn, Offenburg, Pforzheim und zuletzt in Baden-Baden. Beim Fachtag der Sonntagsallianz Baden-Württemberg am vergangenen Montag, 17. Juni, betonte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Wilhelm Schluckebier, der Sonntag sorge für körperliche und seelische Erholung. Vom "zeitlichen Gleichklang" einer regelmäßigen Arbeitsruhe profitierten aber auch Familien, Freunde und Vereine - und die Demokratie, die durch politische Versammlungen und Wahlen am Sonntag belebt werde.
Der baden-württembergische Fachtag geriet in diesem Jahr zum wichtigen Diskussionsforum. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Landesbehörden und Kommunen waren nach Stuttgart gekommen, um mit Gewerkschaft und Kirche über die aktuelle Rechtslage ins Gespräch zu kommen. Für die Kirchen geht es beim Thema Sonntagsschutz nicht nur um den Einsatz für den von der Verfassung geschützten "freien Sonntag", sondern auch um die Bedeutung des Sonntags als wesentliches Kulturgut der jüdisch-christlichen Tradition. Die evangelischen Prälatin von Stuttgart, Gabriele Arnold, machte deutlich, dass der Sonntagsschutz kein Selbstzweck sei, sondern dass es darum gehe, die Frage wach zu halten, was in einer auf Konsum setzenden Gesellschaft am Ende dem Menschen diene. Sonntägliche Gottesdienste belebten die Innenstädte, in ihnen könnten sich Menschen generationenübergreifend zum Gespräch treffen und einander zuhören.
Pfarrer Thomas Löffler vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt in Baden (KDA) sah im Gespräch mit seinen beiden Kollegen aus Württemberg eine "bleibende Grundaufgabe" für Kirche und Gesellschaft: "Wie gestalten wir unsere Sonntagskultur so, dass wir nach anderen Werten leben können als denen der Ökonomie?" Diese Aufgabe werde in Zeiten der zunehmenden digitalen Konkurrenz für den stationären Handel alle gesellschaftlichen Kräfte fordern, die sich für die Attraktiivität und Neubelebung der Innenstädte verantwortlich fühlten. "Da gehören wir Kirchen zweifellos mit dazu", so Löffler.
Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Wilhelm Schluckebier sprach sich ebenfalls für den weiteren Erhalt des Sonntagschutzes ausgesprochen. Wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigten, dass es wichtig sei, den Arbeitsrhythmus mit einer regelmäßigen Arbeitsruhe zu durchbrechen. Schluckebier, der 2009 bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Berliner Ladenöffnungsgesetz beteiligt war, verwies außerdem auf Studien, die zeigten, dass bei der Sonntagsöffnung im Einzelhandel der Gewinn insgesamt kaum gesteigert werde. Der Sonntagsschutz, der in keinem europäischen Land außer Deutschland Verfassungsrang habe, müsse gerichtlich immer wieder neu eingefordert werden. Es müsse immer wieder neu definiert werden, wo die rote Linie liegt, so Schluckebier.
In der Allianz für den freien Sonntag in Baden-Württemberg haben sich gewerkschaftliche und kirchliche Organisationen zu einem Bündnis für sozialverträgliche Arbeitszeiten zusammengeschlossen. Die Allianz ist Teil der auf Bundesebene ins Leben gerufenen Allianz für den freien Sonntag.
Ralf Stroh von der Bundesallianz für den freien Sonntag (Mainz) sagte in einer Podiumsdiskussion, dass die Wirtschaft sehr wichtig für die Gesellschaft sei, aber auch andere Lebensräume in der Gesellschaft geschützt werden müssten, die dem Menschen dienen können und ihn gesund halten. Starker Sonntagsschutz sei deshalb gerade heute kein Standortnachteil, sondern ein Vorteil.
Sabine Hagmann vom Handelsverband Baden-Württemberg sagte, es seien drei verkaufsoffene Sonntage pro Jahr im Südwesten gesetzlich möglich, im Durchschnitt aller Gemeinden würden aber nur eineinhalb dieser Sonntage genutzt. Dies schränke ihrer Meinung nach den Schutz des Sonntages nicht ein. Viele mittelständische Unternehmen bräuchten den verkaufsoffenen Sonntag um sich für ihre Kunden in Erinnerung zu rufen. Die rechtlichen Hürden für einen solchen Sonntag müssten deshalb abgebaut werden, forderte sie.
Bernhard Franke, von der Gewerkschaft ver.di Baden-Württemberg entgegnete, dass es kein Recht auf verkaufsoffene Sonntage, sondern auf einen gemeinsamen arbeitsfreien Sonntag gebe. Die Totengräber des Handels seien Online-Verkaufsplattformen wie Amazon und globale Anbieter; nicht Kirchen und Gewerkschaften, die sich rechtlich für Sonntagsschutz einsetzen.
Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)/Katholische Nachrichtenagentur (kna)/Evangelische Kirche in Baden