Asylpfarrer fordert zum Weltflüchtlingstag: „Schafft die Liste scheinsicherer Herkunftsstaaten ab“
Die UN-Vollversammlung hat den 20. Juni zum zentralen internationalen Gedenktag für Flüchtlinge ausgerufen. Anlass genug, mit dem Asylpfarrer der Landeskirche, Joachim Schlecht, zu sprechen. Der beobachtet eine wachsende Gnadenlosigkeit und fordert die Abschaffung der Liste "scheinsicherer Herkunftsstaaten“, keine Rücknahmeabkommen mit Diktatoren und ein Ende der Waffenexporte. Stephan Braun hat mit ihm gesprochen.
Sie haben vor einem dreiviertel Jahr die Nachfolge Werner Baumgartens als Asylpfarrer der württembergischen Landeskirche angetreten. Damals, im September, kamen knapp 15.000 Asylbewerber in Baden-Württemberg an. Im Mai waren es keine 2.000 mehr. Hat sich Ihre Arbeit dadurch verändert? Zu Anfang tauchten hier im Büro Deutsche auf, mit irgendwo in Stuttgart umherirrenden Flüchtlingen. Ich erklärte dann, dass diese nun bei der Polizei oder direkt in Karlsruhe Asyl beantragen müssen. Jetzt geht es um Familienzusammenführung, um hungernde Familien, weil nach der Anerkennung das Sozialamt nicht mehr und das Jobcenter noch nicht bezahlt. Es geht um unverständliche Rücküberstellungen nach Italien oder Ungarn und die Frage, ob da die Kirche nicht helfen könne.
Was sind die größten Probleme, mit denen die Menschen zu kämpfen haben? Die anerkannten Syrer haben es relativ gut, sie suchen nur Wohnungen. Die Afghanen warten jahrelang auf ihre Anhörung voll leerer Zeit. Die Roma aus den scheinsicheren Herkunftsstaaten wissen nicht, wie sie - dorthin abgeschoben - unter den derzeitigen Bedingungen überleben sollen. Gambier fürchten sich vor der Rücküberstellung nach Italien, dort der Mafia ausgesetzt und ohne Hilfe zu sein. Ehrenamtliche fragen verzweifelt für ihre Schützlinge nach Kirchenasyl. Eltern halten es nicht aus, dass sie ihre gerade 18 Jahre alt gewordene Tochter nicht aus Aleppo hierher in Sicherheit holen dürfen. Die wachsende Gnadenlosigkeit scheint mir das größte Problem für Ehrenamtliche und Geflohene zu sein.
Was können Sie, die Landeskirche und ihre Diakonie dagegen tun? Ich kann es anhören, manche Abläufe erklären, um Geduld bitten, manchmal Geld geben für Essen oder den Rechtsanwalt, einen Brief schreiben an eine Behörde, in einer Predigt um Mitgefühl werben, beten, Mitstreiter suchen. Die Kirche? Sie könnte um Erbarmen für die Gebeutelten und Verzweifelten schreien, bis alle leerstehenden Gebäude bewohnt sind. Auch von Flüchtlingen. Sie kann und wird über die Diakonie das eine oder andere Projekt in den scheinsicheren Herkunftsstaaten mit dortigen kirchlichen Trägern anpacken, damit Menschen dort nicht untergehen. Und sie wird weiter Ehrenamtliche ausbilden und darauf pochen, dass nicht nur die derzeit genehmen Flüchtlinge Fürsprecher und Helfer haben.
Wo hakt es noch? Bei mir im Asylpfarramt kommen vor allem die schwierigsten Schicksale an. Da hakt es überall und ich weiß oft weder kirchliche noch diakonische Hilfe. Die evangelische Kirche tut super viel für Flüchtlinge. Dass Flüchtlinge selbst mitmachen oder auch in den Kirchengemeinden Gemeinschaft finden, ist jedoch noch ein weiter Weg. Leider: Eine Volkskirche ist Spiegel der Gesellschaft. Rechtsradikales autoritäres Denken und Rassismus sind auch bei uns tief verwurzelt und bremsen manches engagierte Eintreten für gleiche Menschenrechte und Demokratie.
Was erwarten Sie von anderen? Dass ein Jahr lang nicht Gesetze gegen, sondern für Flüchtlinge gemacht werden. Dass einer sagt, jetzt verschärfen wir mal nicht die Asylgesetze, sondern die Gesetze gegen Rechtsradikale. Dass Flüchtlinge, die Arbeit haben, auch wenn ihr Antrag offensichtlich unbegründet war, eine Bleibechance durch ein Einwanderungsgesetz bekommen und endlich ein Spurwechsel vom Flüchtling zum Arbeitsmigranten möglich ist, ohne dass man ausreist. Dann hätte die siebzehnjährige Arjola aus Albanien nicht erst zurückgeschoben werden müssen, um im Oktober vielleicht ihre Altenpflegeausbildung in Deutschland anfangen zu können.
Es wird doch längst nach Gruppenzugehörigkeiten entschieden. In Wirklichkeit zählt die niedrige Zahl, der wird alles untergeordnet.
Pro Asyl sagt, durch das Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei werde das Grundrecht auf Asyl ausgehebelt. Das Grundrecht auf Asyl wurde schon 1993 mit dem Asylkompromiss ausgehöhlt. Jetzt werden die letzten Reste vollends ins Meer gekippt. Dass der Einzelfall immer noch zähle, scheint mir in der Praxis in Griechenland oder der Türkei nur noch verlogen. Das ist nur noch eine leere Sprechblase für Politiker und Asylentscheider. Es wird doch längst nach Gruppenzugehörigkeiten entschieden. In Wirklichkeit zählt die niedrige Zahl, der wird alles untergeordnet.
Und der Trend scheint weiter in Richtung „sicherer Herkunftsstaaten“ zu gehen. Was heißt das für die Flüchtlinge? Das heißt, dass nach Ablehnung des Asylbescheids durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) jederzeit unangekündigt abgeschoben werden kann. Der Geflüchtete kann zwar immer noch gegen die Entscheidung klagen. Die Klage hat aber keine aufschiebende Wirkung mehr. Als ein Geflüchteter bei einer Abschiebung Schutz erbat und sagte: „Aber es läuft doch noch eine Klage“, antwortete einer der Polizisten: „Na, die können Sie auch aus Ihrem Land weiterbetreiben.“ Das stimmt, ist aber zugleich unendlich zynisch. Es gilt nicht mehr gleiches Recht für alle. Wir haben damit selbst die Axt an unseren Rechtsstaat gelegt.
Man könnte auch von Tötung durch Beschleunigung reden.
Und was heißt das für diejenigen, die dort vor Ort für die Menschenrechte kämpfen? Die Räume für Menschenrechtsaktivisten werden noch enger. Es ist für sie noch schwerer, Zuflucht zu finden, wenn sie der Geheimdienst im Visier hat. Und es ist vor allem auch schwer, diese Verfolgung zu belegen. Da kommt es einer Katastrophe gleich, wenn nun das BAMF beschleunigt entscheiden kann, es keine Zeit für ein faires Rechtsverfahren im Anschluss und rechtsanwaltlichen Beistand gibt, die Zeit davon läuft und man schon wieder abgeschoben ist, bevor man versteht, was passiert. Man könnte auch von Tötung durch Beschleunigung reden. So kommen die letzten Streiter für Menschenrechte in den scheinsicheren Herkunftsländern unter die Räder.
Was wünschen Sie sich von der Bundesregierung? Die Abschaffung der Liste der scheinsicheren Herkunftsstaaten. Keine Rücknahmeabkommen oder ähnliches mit Diktatoren. Keine Waffenexporte. Umstellung auf alternative Energien innerhalb der nächsten fünf Jahre und Ende aller Ölimporte, weil der Krieg ums Öl einer der großen Fluchtursachen ist.
Und was von der Landespolitik? Von der Landesregierung wünsche ich mir freien Rechtsbeistand und eine unabhängige Verfahrensberatung für jeden Flüchtling. Die Gesundheitskarte für alle Flüchtlinge, weil sie Kommunen, Ehrenamtliche, Ämtermitarbeiter entlasten. Und sofort: ein Kontingent für Familienzusammenführungen mit Familienangehörigen, die noch in Griechenland hängen. Eine inoffizielle Politiker-Reise nach Albanien. Sie sollten fünf Tage mit einer abgeschobenen Romafamilie mitleben können, statt eine Siedlung zu besuchen, die eine korrupte Regierung dafür vorbereitet hat.
Glauben Sie daran, dass sich diese Wünsche in absehbarer Zeit erfüllen? Die Gesundheitskarte ist möglich, wenn Politiker statt auf die Rechtspopulisten auf die besseren Argumente und die guten Erfahrungen anderer Bundesländer hören. Sie sollte demnach schnell umsetzbar sein. Alles andere wird noch viel Zeit und Arbeit von uns verlangen. Eine Zeit, die die meisten Flüchtlinge nicht haben.
Herr Schlecht, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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