Marion von Wartenberg ist ein Beispiel für "lebenslanges Lernen". Nach beruflichen Stationen als Erzieherin, Ergotherapeutin und 20-jähriger Tätigkeit als Alten- und Klinikseelsorgerin sowie als Dozentin in der württembergischen Landeskirche ist sie nun seit zwei Jahren politische Staatssekretärin im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg. Im Rahmen der evangelischen Jugendarbeit hat sie früher wiederholt Waldheime in Fellbach und Kirchheim/Teck geleitet. Sabine Löw hat mit Marion von Wartenberg gesprochen.
Frau von Wartenberg, Sie sind in der evangelischen Jugend groß geworden. Was bedeutet das im Rückblick für Sie?
Die evangelische Jugendarbeit hat mich sehr geprägt. Dort hatte ich immer das Gefühl, angenommen und akzeptiert zu sein. Durch die aktive gemeinsame Freizeitgestaltung und einen großen Freundeskreis war es nie langweilig. Ich habe sehr unterschiedliche Menschen kennengelernt. Wir waren diskussionsfreudig, haben unsere Meinungen und Standpunkte in vielerlei offenen Gesprächsrunden geschärft. Dennoch herrschte eine sehr wertschätzende Art in der Gruppe. Das hat mich gestärkt und mir Rückhalt gegeben.
Was haben Sie durch die evangelische Jugendarbeit für ihr Leben gelernt?
Offenheit nach allen Seiten, das Einüben von Empathie, das Gefühl für Gerechtigkeit, Toleranz und die Gewissheit, dass wir von Wertschätzung getragen sind. Außerdem die Gewissheit, dass es etwas gibt, was weit höher ist als der Maßstab menschlicher Wertschätzung.
Sie wurden in der evangelischen Jugendarbeit also für ihr ganzes Lebens geprägt?
Ja, so ist es. Es sind nicht nur die wunderbaren Erinnerungen an die damalige Zeit, die mich prägen, sondern vor allem die Haltung zum Leben, die mir dort vermittelt wurde, die Haltung zu mir selbst, zu den Mitmenschen und zu Gott. Damals wurden mir Quellen des Glaubens und der Hoffnung aufgetan, aus denen ich heute noch im wachsenden Maße schöpfe.
An was aus Ihrer Jugendzeit können Sie sich noch gut erinnern?
Ich denke sehr gerne zurück an den Mädchenkreis. Das war eine wunderbare Gruppe. Höhepunkt der Mädchenarbeit war, dass wir gemeinsam mit unserer Gruppenleiterin im Alter von 14 Jahren auf die Insel Fanøin in Dänemark fuhren. Ich war von dem Anblick des Meeres so beeindruckt, dass ich mit Kleidern ins Meer rannte. Es kam kein „Schimpfen“, sondern ein lachendes Verständnis.
Wie war die Jugendarbeit damals in Ihrem Heimatort organisiert?
In meinem Heimatort gab es den CVJM, damals „Christlicher Verein Junger Männer“. Doch die Zeiten änderten sich: Es gab eine Öffnung für Aufnahme auch von uns Mädchen. Wir wurden eingeladen, an einer Freizeit in Südfrankreich teilzunehmen, zur Mithilfe in der Küche. Heute – aus frauenpolitischer Sicht – undenkbar. Damals war das für mich der Einstieg in den „Cvim“, so nannten wir den CVJM, und den Einstieg in die aktive Jugendarbeit.
Heute sind Sie Staatssekretärin im Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg. Gibt es Dinge oder Themen aus Ihrer eigenen Erfahrung in der evangelischen Jugend, die Sie mit in die politische Arbeit nehmen?
Die eigenen Erfahrungen in der Kinder- und Jugendarbeit sind eine wichtige Basis für meine jetzige Arbeit. Sie hat mich geprägt und meine Haltung gefestigt, dass "kein Kind verloren gehen darf". Darüber hinaus die Überzeugung, dass die Vermittlung christlicher Werte sehr wichtig ist. Meine christlich-soziale Prägung war nicht allein auf das Elternhaus bezogen. Diese Werte wurden maßgeblich durch die Jugendarbeit gefestigt.
Aus Ihren Beobachtungen als Staatssekretärin heraus: Was raten Sie kirchlicher Jugendarbeit heute?
Die Wertschätzung aller Jugendlichen, unabhängig von der sozialen Herkunft, ist wichtig. Diejenigen, die in der Jugendarbeit arbeiten, müssen Menschen mögen, brauchen Toleranz und Offenheit, müssen auch das "Anderssein" im anderen akzeptieren. Außerdem brauchen wir Räume der Begegnung, wohnortnah in den Wohngebieten. Das kann das Jugendhaus sein, das kann ein Schülertreff sein, das kann der Begegnungstreff im Bürgerzentrum sein, das kann das Mehrgenerationenhaus sein. Dort können junge Menschen ein Stück eigene Freiheit leben, ohne ständige Beaufsichtigung durch die Eltern. Diese Orte der Begegnung sind notwendig, um sich auszutauschen und den jeweils anderen in seinem Kontext zu verstehen. Dort lernen wir Toleranz, sind noch offen nach allen Seiten und hoffentlich wertschätzend im Umgang miteinander.
Was ist das Gebot der Stunde?
Mir ist wichtig, ein besonderes Augenmerk zu entwickeln für die Jugendlichen, die sich als Verlierer sehen, die beispielsweise von der Schule abgehen, weil ihnen eine ermutigende Begleitung fehlt. Unsere jetzige Zeit fordert uns alle besonders, die jetzt ankommenden Kinder und Jugendlichen, die ihre Heimat verloren haben, aufzunehmen und gut in unsere Gesellschaft zu integrieren, sie willkommen heißen. Wir sollten das Leben, die Höhen und Tiefen miteinander teilen und feiern, auch im gottesdienstlichen Rahmen in der Kirche. Wir sollten geduldig sein miteinander. Das Wachsen der Saat braucht seine Zeit. Es ist eine schöne Aufgabe, sich für die jungen Menschen einzusetzen. Das erfüllt mit Sinn.
Frau von Wartenberg, vielen Dank für das Gespräch.