Es war kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe, der das Reisen im heutigen Sinn „erfunden“ hat. Vor Deutschlands Dichterfürst blieb, wer irgend konnte, lieber zuhause und stillte sein Fernweh – wenn überhaupt – durch Lesen. Eine Andacht zur Sommerferien- und Urlaubszeit von Medienpfarrer Andreas Koch.
„Urlaubszeit – Reisezeit“: Wir sind mittendrin, und ich habe Lust bekommen, mich der ganzen Sache einmal auf die Spur zu setzen. Interessante Erkenntnis beim Lesen und beim Forschen: Urlaub beziehungsweise Reisen sind Zauberworte erst seit kurzer Zeit. Über viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende hinweg war nämlich das In-die-Fremde-Gehen nichts, was ein vernünftiger Mensch freiwillig auf sich genommen hätte. Nur die Mächtigen, die Abenteurer, zwielichtiges Volk, Krämer und Soldaten zogen in der Welt herum, um ihr Glück zu machen. Glücklich dagegen der, der nicht durch Hunger zur Flucht oder durch einen Großen der Geschichte dazu gezwungen wurde, ihn bei seinen Entdeckungs- oder Eroberungsreisen zu begleiten. Nein, wer es zu etwas gebracht hatte in der guten alten Zeit, der blieb im Lande, ernährte sich redlich und stillte sein Fernweh höchstens durch die Lektüre von Reiseberichten wagemutiger Einzelgänger.
Die Trendwende kam zu Goethes Zeit, und Deutschlands Dichterfürst war einer der ersten Touristen im heutigen Sinn. Am 3. September 1786, also vor ziemlich genau 230 Jahren, brach Johann Wolfgang von Goethe zu keinem andern Zweck nach Italien auf, als sich von den Anstrengungen seines Ministeramts zu erholen und neue Kraft für die Arbeit an seinem literarischen Werk zu schöpfen. Damit aber erhielt das Reisen einen neuen Sinn: Es diente der Erholung, dem Vergnügen, der Bildung auch und wurde so – erst für einige wenige und dann für immer mehr – zum Urlaub, ohne den die meisten von uns nicht mehr auskommen können. Vom Reisen als dem „Opium der Postmoderne“ sprechen denn auch die Psychologen.
Nun, wie dem auch immer sei: Gut, dass es den Urlaub und das Reisen gibt – und jenen Gott, zu dem einer 2000 Jahre vor Christ Geburt aus der Fremde schon so gebetet hat:
Andreas Koch