„Keiner will verstehen, was der andere sagt. Die Meinungen prallen aufeinander. Dafür oder dagegen. Schwarz oder weiß. Ich habe Recht, die anderen liegen daneben. Klare Grenzen ziehen. Gesprächsgrenzen. Und die dicht machen. Nicht nur in den sozialen Netzwerken, auch in Diskussionen von Angesicht zu Angesicht.
Ich mache mir große Sorgen darüber, wie wir als Gesellschaft, aber auch als Kirche, über die herz- und lebenszerreißenden Themen dieser Tage sprechen: Häufig eben schwarz-weiß. Gar in Extremen. Mit alternativlosen Positionen. Die einen fürchten den ‚Rechtsruck‘ in Europa, wollen ‚Vielfalt‘, andere fürchten eine kommende ‚Islamisierung‘; Zukunftsangst angesichts zahlloser Konflikte in dieser Welt und fehlenden Lösungen. Und manche reiben sich verwundert die Augen, wie die Diskussionen laufen, was wieder ‚salonfähig‘ ist. Wie weit weg scheinen gemeinsame Gesprächsebenen zu sein.
Wie ein Geistesblitz fährt Pfingsten in diese trostlose Gemengelage. ‚Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist‘, bittet ein altes Kirchenlied.
Damals, als in Jerusalem auf einmal Menschen aller Sprachen und ebenfalls widerstrebenden Interessen die predigenden Jünger von Jesus verstehen konnten – jeder in seiner Muttersprache: Ägypter und Römer und Araber. Ein Wunder. Ein Geschenk Gottes.
An Pfingsten hat Gott seinen Geist, seinen Heiligen Geist in die Welt geschickt. Nach der Auferstehung und Himmelfahrt von Jesus Christus. Dieser heilige Geist ist Helfer, ist Tröster. Der Grenzen überwindet und hilft, Grenzen zu überwinden. Der zusammenführt und hilft beim Zusammenführen.
Damals waren es Sprachgrenzen. Heute sind es Meinungen und Positionen zu wichtigen Themen wie zum Beispiel zum Umgang mit Flüchtlingen, zu Europa, Armut und Reichtum, dem Euro.
Je komplizierter die Probleme, desto nötiger ist unser Zusammenhalt. Dazu gehört, aufeinander zu hören, miteinander um gute Lösungen zu ringen. Ja, dem anderen zuzuhören, ihn verstehen zu wollen, macht Mühe. Sich mit Argumenten und Zwischentönen zu beschäftigen, erst recht. Aber einfache Lösungen für komplizierte Fragen gibt es nicht.
Pfingstlicher Glaube genießt die Freiheit der Kinder Gottes und freut sich an der politisch garantierten Freiheit unseres Gemeinwesens.
Wir sind gefordert, diese Freiheit aktiv zu erhalten und immer wieder auszuhandeln, wie wir in unserer Gesellschaft leben und für andere Verantwortung tragen wollen. ‚Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist.‘
Ich glaube, dass die christliche Botschaft frei macht, bei all den Herausforderungen nicht nur an uns und unser vermeintliches Wohlergehen zu denken. Jesus stellt für seine Nachfolgerinnen und Nachfolger klar, dass sie tun sollen, was er getan hat: Unerschrocken und uneigennützig auf andere zugehen, besonders - aber nicht allein - auf die Ausgegrenzten. Und ihnen mit Worten und mit Taten zu helfen. Dazu ermutige ich uns zu Pfingsten. Der Geist von Pfingsten hilft, unsere Trägheit zu überwinden!
‚Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist.‘“
Mit den Bischöfen Gebhard Fürst und Frank Otfried July findet am Pfingstsonntag, 15. Mai, um 18:00 Uhr in der Stuttgarter Stiftskirche eine ökumenische Pfingstvesper statt.
Am Pfingstmontag, 16. Mai, feiern ab 11 Uhr 26 Gemeinden verschiedener Sprachen und Herkunft rund um die Stiftskirche den „Tag der weltweiten Kirche“.