Wie verändert Künstliche Intelligenz das Zusammenleben der Menschen? Wie wirkt sich das auf das Gemeindeleben aus? Was bedeutet das für die Theologie der Kirche? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das 3. Forum Digitalisierung der Evangelischen Landeskirche am Donnerstag, 7. Februar, im Stuttgarter Hospitalhof.
Zum dritten Mal hat die Evangelische Landeskirche in Württemberg Mitarbeitende und Interessierte zu einem ‚Forum Digitalisierung‘ eingeladen. Diesmal soll es neben ethischen Gesichtspunkten auch darum gehen, wie Digitalisierung im Kontext der Gemeindearbeit geschieht. Seit der Erarbeitung einer „Digitalen Roadmap“ im Jahr 2017, dem strategischen Fahrplan für die Digitalisierung in der Landeskirche, sind die Foren ein wichtiger Austauschort über verschiedenste Aspekte der Digitalisierung. Die Landeskirche will die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Digitalisierung mitgestalten und deren Chancen für die Kommunikation des Evangeliums nutzen. Dieser strategische Fahrplan wird bereits umgesetzt und umfasst auch ethische Fragestellungen der Digitalisierung.
Über das Thema Ethik der Digitalisierung sprachen Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July und Prof. Dr. Petra Grimm, Leiterin des Instituts für Digitale Ethik und Ethikbeauftragte der Hochschule der Medien in Stuttgart. „Die Kirche kann eine Lücke füllen, indem sie die Frage nach der Sinnhaftigkeit der neuen Technologien stellt“, betonte Grimm. „Sie kann helfen, eine Haltung für den Umgang mit der Digitalisierung zu entwickeln.“ Sie sieht vor allem dann ethische Probleme in Bezug auf den digitalen Wandel, wenn soziale Beziehungen betroffen sind, weniger wenn es um die Automatisierung in der Industrie geht. „Technik nur zur Überwachung, die Autonomie unterminiert und diskriminiert: Da wollen wir nicht hin“, betonte sie. Grimm sieht gute Chancen, auf europäischer Ebene eine Ethik der Digitalisierung zu entwickeln. „Europa ist stark werteorientiert aufgrund seiner Geschichte“, betonte Grimm. Als Beispiel nannte sie die europäische Datenschutzgrundverordnung, die mittlerweile anderswo auf der Welt als Vorbild diene.
Landesbischof July sieht die Struktur der Kirche als Chance an, das Thema Digitalisierung zu diskutieren. „Kirche ist immer noch ein Querschnittsraum, in dem junge und alte Menschen in Stadt und Land zusammenkommen“, betonte er. „Ich wünsche mir, dass wir diesen Kommunikationsraum nutzen.“ Er sieht gerade die Geschwindigkeit, in der die Digitalisierung voranschreite, als Herausforderung an. Die Kirche müsse schneller werden, um nicht den Anschluss in diesem Bereich zu verlieren. Andererseits brauche es Räume, um diese Entwicklungen angemessen zu reflektieren und sprachfähig zu sein.
„Unser Auftrag ist die Verkündigung des Evangeliums“, so July. Die Digitalisierung diene dem Auftrag der Kirche und dem Menschen. In diesem Zusammenhang beantwortete der Landesbischof die Frage danach, ob die künstliche Intelligenz (KI) eine gute Gabe Gottes sei, folgendermaßen: „Unstrittig ist: Intelligenz ist eine gute Gabe Gottes! KI ist eine gute Aufgabe des Menschen. Sie braucht ein klares ethisches Fundament. Daran Mitzuwirken ist unsere Aufgabe.“
„Es lohnt sich, die Menschen nach Ideen zu fragen“, sagte der Direktor Stefan Werner. Er berichtete vom Stand der Umsetzung der Digitalen Roadmap der Landeskirche. Im Bereich der Landeskirche gebe es viel Potential im Bereich Digitalisierung. Als Beispiele für geförderte Projekte nannte er das „Bibel Projekt“, ein Computerspiel mit biblischen Inhalten, das derzeit entwickelt wird, sowie verschiedene technische Entwicklungen, die im diakonischen Bereich zum Einsatz kommen sollen.
Außerdem würden 32 IT-Projekte umgesetzt, die für die kirchliche Verwaltung von entscheidender Bedeutung seien, so Werner weiter, etwa die Erarbeitung eines ganzheitlichen Kommunikationskonzepts mit Neuausrichtung der Evangelisches Medienhaus GmbH, die AG E-Learning und die Entwicklung einer Buchungsplattform für Tagungshäuser und Einrichtungen. Dazu komme ein Mentalitätswandel innerhalb der kirchlichen Strukturen. „Digitalisierung verändert die Zusammenarbeit in der Kirche, die Abläufe im Oberkirchenrat“, erklärte Werner. Das Delegationsprinzip würde gestärkt, Hierarchien durchlässiger gestaltet, der Einsatz von agilen Methoden forciert.
Wie verändert sich Gemeindearbeit durch Digitalisierung? Diese Frage stellte Dan Peter, Geschäftsführer der Evangelisches Medienhaus GmbH, bei seiner Podiumsrunde. Facebook-Posts zu Gottesdienstzeiten oder Verkündigungsthemen, Terminabsprachen über Messenger-Dienste, der kollegiale Austausch mit anderen Pfarrerinnen und Pfarrern – drei Pfarrerinnen Jennifer Berger, Sabine Löw und Bereinke Brehm berichteten beim Podiumsgespräch von der selbstverständlichen Nutzung sozialer Medien in ihrer Arbeit. Sie sehen das auch nicht als ein zeitliches Problem, denn meist handele es sich nur um ein paar Klicks.
„Wenn man als Pfarrer in den sozialen Medien unterwegs ist, sehen die Leute, dass man sich kümmert und ansprechbar ist“, sagte Jennifer Berger. Sie poste oft ihre Gottesdienstzeiten. „Es ist erstaunlich, wer dann alles kommt.“ Die Frage, wie viele private Informationen ein Facebook- bzw. Instagram-Account enthält, müsse jeder selber für sich beantworten, erklärte Berenike Brehm. Sabine Löw nutzt Social Media auch zur Verkündigung. „Auch wenn ich die Tageslosung teile, ist das schon Verkündigung“, ist sie überzeugt.
Von der Landeskirche wünschen sich die Pfarrerinnen vor allem ein Tool zur internen Kommunikation, um Hauptamtliche besser zu vernetzen, sowie Planungs- und Kalender-Tools. Außerdem sei es wichtig, Digitalisierung in der Kirche größer zu denken, so Berger. Es gebe auch in anderen Landeskirchen und von Einzelpersonen gute Initiativen. „Wir müssen uns besser vernetzen.“ Berenike Brehm wünschte sich eine stärkere Präsenz der Kirche und christlicher Inhalte im digitalen Leben der Menschen.
Prof. Dr.-Ing. Klaus Henning hält die Entwicklung von künstlicher Intelligenz für „die größte Revolution seit Gutenberg (1470)“. Sie schaffe ein neues Miteinander von Menschen, Maschinen und digitalen Schatten, sagte der Wissenschaftler beim 3. Forum Digitalisierung der württembergischen Landeskirche im Stuttgarter Hospitalhof. Henning leitete viele Jahre lang das Institut für Kybernetik der RWTH Aachen und ist heute u.a. Mitglied des Vorstands des Instituts für Unternehmenskybernetik der Universität.
Künstliche Intelligenz werde die Strukturen von Staaten, öffentlichen Ordnungssystemen, Unternehmen und Institutionen wie Kirchen und Vereinen dramatisch verändern, erklärte Henning. Deshalb müssten demokratische Kontrollstrukturen nach dem Vorbild der sozialen Marktwirtschaft entwickelt und in die Systeme der künstlichen Intelligenz Eingang finden. „KI-Algorithmen brauchen eine Ethik.“ Hier sieht er die Kirche in der Verantwortung. „Wir sind dazu berufen diese Welt immer wieder verantwortlich neu zu gestalten“, erklärte Henning. „Künstliche Intelligenz ist eine gute Gabe Gottes, die es verantwortlich zu gestalten gilt, bevor es andere verantwortungslos tun“.
Die Gemeindeglieder suchen nach theologischer Orientierung und Handlungskompetenz in der digitalen Revolution. Davon ist Pfarrer Dr. Gernot Meier überzeugt. Der Religionswissenschaftler Studienleiter an der Evangelischen Akademie Baden mit Schwerpunkt Wissenschaft, Kultur und digitale Medien sprach beim 3. Forum Digitalisierung über „Über das Glück eine missionarische Kirche in einer Übergangszeit zu gestalten, das Evangelium zu kommunalisieren und über die lauernde Sünde vor der Tür zu herrschen.“ Hinter dem langen und blumigen Titel verbarg sich eine vielschichtige Analyse von Chancen und Risiken der Digitalisierung sowie Fragen der Ethik, die damit verbunden sind.
Meier rief die Kirchen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Gemeindeglieder dazu auf, die Digitalisierung anzunehmen, sich sichtbar in die Diskurse in den sozialen Medien einzumischen und ein „Narrativ eines geglückten Lebens“ angesichts der digitalen Revolution zu entwickeln. „Wir sind es, die meines Erachtens die Aufgabe haben, fröhlich und mit Mut neue Technologie zu nutzen und zu fördern, aber auch daran zu erinnern, dass Leben, Gefahr und Fragmentarität zusammenhängen“, so Meier. Er sieht die Menschen heute, die die Anfänge der digitalen Revolution erleben und gestalten, in einer besonderen Verantwortung: „Wir sind es, die beispielhaft Geschichten erzählen müssen, wie wir keinen vorauseilenden Datengehorsam leisteten, wie wir die Macht der Algorithmen beschränkten, beispielhaft Institutionen verteidigen und Verantwortung für die digitale Welt übernehmen in einer biblischen bzw. theologischen Ethik der Kommunikation.“
Am 1. März beginnt Dr. Nico Friederich seine Tätigkeit als Verantwortlicher für Digitalen Wandel im Evangelischen Oberkirchenrat. Im Rahmen des 3. Forums Digitalisierung hat er sich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung und den Zuschauerinnen und Zuschauern des Livestreams vorgestellt. Er wird das breit angelegte Digitalisierungsprojekt der Landeskirche vorantreiben und koordinieren. Im Rahmen dieses Projektplans ist Friederich zuständig für die Beratung und Begleitung der Kirchenbezirke, Referate sowie Werke und Einrichtungen der Landeskirche in Hinblick auf die Modernisierung und Digitalisierung der verschiedenen Bereiche. Dazu gehört unter anderem auch, neue Entwicklungen und Trends zu beobachten und daraus innovative Ideen und Lösungen zu entwickeln, die die Landeskirche auf dem Weg der Digitalisierung weiter voranbringen.