Kohlberg. Zum 100. Mal hat am Sonntag, 28. Juli, das pietistische Jusi-Treffen bei Kohlberg im Landkreis Esslingen stattgefunden. Ministerpräsident Kretschmann forderte während des wegen Regens in die Halle verlegten Treffens „bohrende“ Kirchen.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat Christen dazu ermutigt, sich in gesellschaftliche Debatte einzubringen. „Unsere Gesellschaft braucht Kirchen, die nicht in Tagesaktualitäten aufgehen, sondern tiefer bohren und nach dem ,Dahinter' suchen", sagte Kretschmann am Sonntag in Kohlberg (Kreis Esslingen). Der Ministerpräsident sprach beim 100-Jahr-Jubiläum des pietistischen Jusi-Treffens, das 1919 erstmals veranstaltet worden war.
Kretschmann stellte das Jubiläum in den Zusammenhang mit der Gründung der Weimarer Republik vor ebenfalls 100 Jahren. Die Verfassung von 1919 habe einen demokratischen Aufbruch sowie die Freiheit des Glaubens ermöglicht. Mit den pietistischen Treffen unter freiem Himmel auf dem Jusi-Berg habe die Kirchenbasis den Kirchenraum verlassen und „volksnah, familiär, offen“ Gottesdienst im Grünen gefeiert. Diese Treffen könnten bis heute Vorbild für die ganze Kirche sein, sagte der Katholik Kretschmann.
Der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, wandte sich in seiner Predigt dagegen, persönliche Frömmigkeit und gesellschaftliches Engagement als Gegensätze zu betrachten. July lobte das soziale Engagement des pietistischen Gemeinschaftsverbands „Die Apis“, der in seinem „Hoffnungshaus“ im Stuttgarter Rotlichtmilieu Prostituierten einen „Raum der Hoffnung“ gebe.Liebe zum Nächsten ist laut July eine Folge erfahrener Liebe von Gott. „Wer an sich die Barmherzigkeit Gottes erlebt, dessen Herz kann weicher, weiter, wärmer werden auch für andere“, sagte der Bischof.
Wegen strömenden Regens war die Jubiläumsveranstaltung vom Jusi spontan in die Kohlberger Gemeindehalle verlegt worden; am Vormittag hatten die Veranstalter noch bekanntgegeben, dass das Jusi-Treffen trotz des wechselhaften Wetters „wie geplant“ auf dem 673 Meter hohen Berg stattfinden werde. Doch der Regen machte die Planungen zunichte: Mehrere hundert Besucher, die den Berg bereits bestiegen hatten, wanderten rund eine halbe Stunde hinab zum trockenen Versammlungsort.
Das Jusi-Treffen hat sich aus kleinsten Anfängen zu einem der großen landesweiten Treffen der württembergischen Altpietisten („Apis“) entwickelt. Seit 1919 hat das Treffen nach Angaben des Gemeinschaftsverbands immer stattgefunden, selbst in Kriegs-, Inflations- und Besatzungszeiten.
Die Teilnehmerzahl stieg ständig: Kamen anfangs nur Gäste aus der näheren Umgebung, zählte man in den 1980er Jahren bis zu 3.000 Besucher auf dem einstigen Vulkanschlot. Die Veranstaltung gilt als Vorbild für die „Kirche im Grünen", bei der Gottesdienste in der Natur gefeiert werden.
Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)