Stuttgart. Es ist ein oft schwieriges Verhältnis: zahlreicher werdende Muslime in einer christlich-abendländisch geprägten Gesellschaft. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) hat sich des Themas angenommen und eine Orientierungshilfe mit dem Titel „Können Christen und Muslime miteinander beten?" herausgebracht. Siegfried Denzel sprach mit Oberkirchenrat Professor Dr. Ulrich Heckel, Theologischer Dezernent der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
„Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“: Mit diesem Satz hatte Ex-Bundespräsident Christian Wulff 2010 heftige Kontroversen ausgelöst. Ist der Titel der jetzt von der ACK Baden-Württemberg herausgegebenen Orientierungshilfe „Können Christen und Muslime miteinander beten?“ eine Bestätigung von Wulffs These?
Über die Formulierung kann man sicher streiten. Fakt ist aber, dass knapp fünf Prozent der Bevölkerung muslimischen Glaubens und damit Teil unserer gesellschaftlichen Realität sind.
Die ACK verweist darauf, dass ihre Mitgliedskirchen keine einheitliche Antwort auf die Gemeinsam-Beten-Frage geben. Wie lautet die konkrete Antwort der Evangelischen Landeskirche in Württemberg?
Die Position der Württembergischen Landeskirche ist, dass bei Veranstaltungen die Religion authentisch zur Sprache kommen kann. Das heißt: Wir können Muslime in christliche Gottesdienste einladen, sie können sich auch mit Wort- oder Musikbeiträgen beteiligen – aber es ist auch klar, dass einen christlichen Text nur ein christliches Gemeindeglied sprechen kann. Ebenso bei muslimischen Texten: Diese kann nur ein Muslim sprechen.
Wird dies bereits so praktiziert?
Ja natürlich. So gibt es beispielsweise bei Stadtfesten oder auch bei Schulfeiern Situationen, bei denen die Beteiligten mit dieser Frage umgehen und eine gemeinsame Lösung für die gemeinsame Gestaltung finden müssen.
Es gibt hier eine Kategorisierung: Man kann einfach einen Dialog des Kennenlernens führen, bei dem man sich mit muslimischen Gruppen trifft und austauscht. Es gibt zudem einen Dialog des Alltags, etwa über Herausforderungen in Kindertagesstätten oder in der Krankenpflege - etwa, wenn christliches Pflegepersonal mit Muslimen zu tun hat.
Und dann gibt es die Sondersituation des Gottesdienstes – zunächst mit der Möglichkeit der Gastfreundschaft, so dass Muslime kommen und teilnehmen können.
Eine weitere Möglichkeit ist das multireligiöse Gebet; hier gilt der Grundsatz, den Papst Johannes Paul II. in Assisi 1986 formuliert hat: Wir können nicht zusammen beten, aber zusammenkommen, um zu beten. Das heißt, dass jeder betet mit seinen Gebeten.
Also nach wie vor: Trotz aller Gemeinsamkeit klare Trennlinien…
Es gibt noch die Kategorie des interreligiösen Gebets: Das sind Versuche, Gebetsanliegen gemeinsam zu formulieren, weil die Bitten um Frieden oder Gerechtigkeit in beiden Religionen ähnlich lauten. Hier beginnen aber die Grenzen zu verschwimmen: Bei „Gott“ denkt ein Christ im Kontext des „Vater unser“; ein Muslim hat ein anderes Gottesbild. Es ist deshalb die Haltung der württembergischen Landeskirche, in diesem Punkt (des interreligiösen Gebets; d.Red.) sehr zurückhaltend zu sein und dies nicht zu empfehlen.
Dies ist auch festgehalten in einer Broschüre der vier Kirchen in Baden-Württemberg über religiöse Feiern im multireligiösen Kontext an Schulen.
Wann ist die Broschüre erschienen?
Sie ist herausgekommen im September 2018.
Damit haben die vier Kirchen bereits im Vorfeld die Antwort gegeben auf die von der ACK gestellte Frage…
Es ist dieselbe Frage, die einfach im Raum steht für Schulen oder für Stadtfeste. Die ACK beschäftigt sich damit völlig zu Recht und hat bisher gemachte Erfahrungen und entwickelte Modelle vorgestellt, die genannte Kategorisierung präsentiert und die Kirchen sowie Konfessionsfamilien gebeten, darzustellen, wie es in ihrer Tradition, theologischem Verständnis und rechtlichen Regelungen gegenwärtig aussieht.
Kürzlich hat die bei der EKD angesiedelte Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen ein ernüchterndes Fazit des christlich-islamischen Dialogs gezogen: Es sei eine „zunehmende Entfremdung zwischen vormaligen Dialogpartnern“ zu beobachten; Organisationen wie dem türkisch-islamischen Dachverband Ditib oder dem Verband der islamischen Kulturgemeinden mangele es an „innerer Akzeptanz der demokratischen Verfassung“. Teilt die Evangelische Landeskirche diese Kritik?
Zunächst ist dazu zu sagen, dass der Dialog besteht und wir auch weiterhin am Dialog interessiert sind. Der Landesbischof lädt jährlich Muslime zum Gespräch ein, sendet zum Ramadan ein Gratulationsschreiben und macht auf diese Weise deutlich, dass wir im Gespräch sind. Mit Blick auf die angesprochenen Gemeinschaften, vor allem der Ditib, ist es aber wichtig, um deren Verflechtungen mit der Religionsbehörde in der Türkei zu wissen.
Da sieht’s an jedem Ort etwas anders aus. Insofern kommt es jeweils sehr darauf an, zu schauen, wer das konkrete Gegenüber ist. Wenn so viele muslimische Menschen in unserem Land leben, ist es aber wichtig, dass wir den Kontakt suchen und auch in schwierigen Zeiten über die Unterschiede und kritischen Punkte im Gespräch bleiben.
Wenn Sie eine Gesamtschau halten auf die muslimischen Gemeinden: Hat sich in deren Gesprächswillen etwas verändert?
Der Putschversuch 2016 in der Türkei hat da regelrecht eingeschlagen; jeder, der am Gespräch beteiligt ist, kann davor die Augen nicht verschließen. Auch die Zeitungsberichte darüber, wonach in Deutschland Imame und Moscheevereine ausgefragt wurden (von Vertretern der türkischen Religionsbehörde über Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan; d.Red.), sind Teil der Realität – aber kein Grund, das Gespräch grundsätzlich abzubrechen.