Oberlenningen. Ein Gedenkort im Garten der Oberlenninger Martinskirche erinnert seit Sonntagnachmittag an einen der mutigsten Pfarrer der württembergischen Landeskirche in der Zeit des Nationalsozialismus: Nachdem er von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem bereits als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt worden war, weihten Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July und Richard von Jan den Gedenkort für Pfarrer Julius von Jan ein.
Nur wenige Tage nach den November-Pogromen des Jahres 1938 konnte und wollte der Oberlenninger Pfarrer Julius von Jan nicht länger schweigen; seine Bußtagspredigt am 16. November in der Martinskirche im Lenninger Tal am Fuß der Schwäbischen Alb nutzte er, um die Verbrechen der Nazi-Diktatur deutlich beim Namen zu nennen.
„O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“: Diesen Ruf des Propheten Jeremia wählte Julius von Jan damals als Predigttext. Wie einst Jeremia das Verhalten der Fürsten des Volkes Israel verurteilte, die das Gesetz Gottes mit Füßen getreten haben, so prangerte der Oberlenninger Pfarrer in seiner Predigt die Hetze der „Fürsten“ des Dritten Reiches gegen jüdische Mitbürger an: „Gotteshäuser, die anderen heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum geraubt oder zerstört und Männer, die dem deutschen Volk treu gedient haben, wurden ins KZ geworfen.“
Er beklagte den Abfall von Gott und seinen Geboten und die Schuld, die das deutsche Volk mit der Verfolgung der Juden auf sich geladen hatte. Julius von Jan brachte sich mit seiner Bußtagspredigt, die auch am Sonntag im Rahmen der Feierstunde in der Martinskirche noch einmal von der Kanzel verlesen wurde, in Lebensgefahr.
Nur wenige Tage später wurde er von SA-Männern aus Nürtingen überfallen, schwer misshandelt und als Judenknecht beschimpft. Etliche Stationen in Haft folgten.
Von der Kirchenleitung Württembergs hatte von Jan nicht viel zu erwarten. Sie konnte zwar verhindern, dass der Pfarrer ins Konzentrationslager deportiert wurde. Aber die Kirche suspendierte ihn vom Dienst und strengte ein Disziplinarverfahren an. Mitglieder seiner Gemeinde indes hielten zu ihrem Pfarrer. Die Oberlenninger sangen vor dem Kirchheimer Gefängnis, was dazu führte, dass ihr Pfarrer in ein Gefängnis nach Stuttgart verlegt wurde.
Erst im September 1945 konnte er zur Freude seiner Gemeinde mit seiner Familie nach Oberlenningen in sein Amt als Pfarrer der Martinskirche zurückkehren. Bis zum Zusammenbruch des Dritten Reichs hatte er stets unter der Kontrolle der NSDAP gestanden. Landesbischof Theophil Wurm bereute später, sich nicht hinter seinen Pfarrer gestellt zu haben.
In seiner Würdigung Pfarrer von Jans bedauerte Landesbischof Frank Otfried July am Sonntag das Verhalten damals: „Die Kirchenleitung hat sich schuldig gemacht. Stellvertretend möchte ich um Vergebung bitten für das Versagen der Landeskirche.“ Die Kanzel der Martinskirche, von der die Bußtagspredigt gehalten wurde, ist für July Mahnung: „Es ist möglich, etwas auszusprechen, Gesicht zu zeigen, aufrecht Gottes Wort zu folgen.“
Im vergangenen Jahr war Julius von Jan posthum der Titel „Gerechter unter den Völkern“ in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem verliehen worden. Noch sind Medaille und Urkunde zwar nicht übergeben, doch Julius von Jans Sohn Richard kündigte im Rahmen der Feierstunde am Sonntag an, sowohl Medaille wie Urkunde alsbald nach Oberlenningen zu bringen: „Beides gehört hier in die Kirche.“
Er sei immer wieder beeindruckt, wie intensiv die Gemeinde das Andenken an seinen Vater pflege und sprach seinen Dank für diese Gedenkkultur aus: „Die Ehrung in Yad Vashem für meinen Vater ist auch Anerkennung für die Gemeinde.“ In Absprache mit Richard von Jan war es auch möglich geworden, den Grabstein seines Vaters aus Korntal, dem Wohnort von Julius von Jan bis zu dessen Tod im Jahr 1964, in den Pfarrgarten nach Oberlenningen zu holen, wo er jetzt neben einer Spruchtafel aus Edelrost mit dem Jeremia-Wort ruht.
Noch unter dem Eindruck des Entsetzens über den antisemitischen Terroranschlag in Halle vor eineinhalb Wochen rief der heutige Oberlenninger Pfarrer Dirk Schmidt dazu auf, an der Seite der jüdischen Gemeinden zu stehen und sich jeder Form von Antisemitismus entgegen zu stellen.
Auch die Vertreterin des Vorstands der Israelitischen Religionsgemeinschaft, Susanne Jakubowski, appellierte, zusammenzustehen und sich gegenseitig zu unterstützen - um so zu verhindern, dass die schlechte Saat wieder aufgeht, gegen die der Oberlenninger Pfarrer schon vor 81 Jahren aufgestanden ist: „Ich verneige mich vor Julius von Jan.“
Susanne Kraemer