Esslingen. Manchmal kann sich aus einem persönlichen Scheitern eine neue Chance ergeben: Das hat Jana Lehmann erfahren, die wir in unserer Serie über Freiwilligendienstler vorstellen. Die 19-Jährige arbeitet in Esslingen in einer Wohngruppe für unbegleitete junge Flüchtlinge.
Zunächst ging es für Jana Lehmann „nur“ darum, über den Umweg eines Freiwilligen Sozialen Jahres die Fachhochschulreife zu erlangen. Daraus ist ein Bundesfreiwilligendienst geworden – und die Arbeit in einer von der kirchlichen Stiftung Jugendhilfe aktiv in Esslingen betriebenen Wohngruppe für geflüchtete Jugendliche macht ihr so viel Freude, dass sie ihre Dienstzeit kurzerhand um ein halbes Jahr verlängert hat. „Es macht mir mega viel Spaß. Ich mag’s hier einfach“, schwärmt sie.
Dabei sah ihre Planung bis Sommer vergangenen Jahres ganz anders aus, als sie noch Gymnasiastin in Wernau war. Doch mit dem regulären Schulabschluss hatte es nicht so recht klappen wollen... Und so fasste die heute 19-Jährige im Herbst – ohne Abitur in der Tasche – den Entschluss, ein Freiwilliges Soziales Jahr zu absolvieren. Danach könnte sie ja an einer Fachhochschule studieren oder eine Ausbildung absolvieren.
Während eines ersten Gesprächs beim Diakonischen Werk in Stuttgart standen die Einsatzgebiete Kinder- und/oder Jugendeinrichtung oder eine Einrichtung für alte Menschen zur Wahl.
Jana musste nicht lange überlegen: „Für mich stand gleich fest: Ich möchte mit Jugendlichen zu tun haben", schildert die junge Frau.
Was sie allerdings noch nicht wusste, war, „dass es sich um eine Wohngruppe für geflüchtete Jugendliche handeln würde, die ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen waren.“
Während einer Hospitation in der Wohngruppe unweit der Esslinger Burg lernte sie dann die sechs Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren kennen. Drei von ihnen stammen aus dem Irak, einer aus Eritrea, einer aus Albanien und einer aus Nigeria. „Natürlich war es am Anfang schon ein wenig komisch als Mädchen unter den sechs Jungs. Aber das hat sich schnell gegeben“, erinnert sie sich heute.
Eigentlich wäre ihre Zeit als „Bundesfreiwilligendienstleistende“, so ihre offizielle Bezeichnung, im Oktober zu Ende. Doch weil sie sich für eine Verlängerung entschieden hat, bleibt sie nun bis April 2020 in der Einrichtung der Stiftung Jugendhilfe aktiv.
Ilka Herzhauser, Bereichsleiterin der Stiftung und somit Chefin von Jana Lehmann, kann nur bekräftigen, dass sich der erste positive Eindruck, den sie während der Hospitation im vergangenen Herbst von Jana gewonnen hat, absolut bestätigt hat: „Jana steht ihre Frau, ganz ohne Zweifel.“
Zu den Aufgaben der Mitarbeiterin mit der etwas sperrigen Berufsbezeichnung gehört die „hauswirtschaftliche“ Betreuung der jungen Flüchtlinge. Es muss eingekauft und gekocht werden. Das erledigt Jana, während die Jungs in der Schule sind. Jetzt, in den Ferien, geht man schon mal miteinander einkaufen.
Und was wird dann gekocht? „Auf jeden Fall Fleisch, am besten mit Reis. Ohne Fleisch geht gar nichts“, lacht Jana und gibt zu, dass sie anfangs gar nicht wirklich kochen konnte – weshalb sich der Appetit ihrer Schützlinge auch im Rahmen hielt. „Aber jetzt geht’s schon deutlich besser. Mittlerweile schmeckt es ihnen auch.“
Nachmittags übernimmt sie die Hausaufgabenbetreuung. Und zeigt dann auch schon mal Strenge: So werde sie sauer, wenn sich „ihre“ Jungs um Schularbeiten drücken wollen. Doch meistens, relativiert sie, werden ihre Anweisungen problemlos angenommen. Vor Feierabend um 18.30 Uhr schaut sie ihren Schützlingen beim Zubereiten des Abendessens über die Schulter und hilft auch hierbei ein wenig mit. „Ziel ist es ja, dass die Jungs langsam in die Selbständigkeit geführt werden.“ Bisweilen geht die junge Frau aber auch zu Arztterminen mit, berät bei Handy-Verträgen oder wo sonst Hilfe nottut.
Mittlerweile kennt Jana die Jungs sehr gut und merkt sofort, wenn einen etwas bedrückt: „Ich frag‘ dann nach, und dann erzählen sie auch. Manchmal kommen sie auch von sich aus mit ihren Sorgen zu mir.“
Und manchmal erzählen die Jugendlichen auch von ihrer Flucht und den schlimmen Zuständen in ihrer alten Heimat. Manche der zuweilen drastischen Schilderungen sind für die 19-Jährige nur schwer zu ertragen: „Wow, dass ihr überhaupt noch lachen könnt...“, sagt sie dann.
Auch wenn sich Jana Lehmann noch nicht endgültig entschieden hat, was sie nach ihrer Zeit als Bundesfreiwilligendienstleistende, die übrigens mit 450 Euro monatlich honoriert wird, tun will: Eine Ausbildung im sozialen Bereich soll es auf jeden Fall werden. Soviel steht fest. Denn wie sie sagt, hat sie in ihrer Zeit in der Esslinger Wohngruppe nicht nur ihre Schützlinge gut kennengelernt – sondern auch viel über sich selbst erfahren.
Sabine Kraemer
Auch das Evangelische Jugendwerk in Württemberg (EJW) bietet noch freie Plätze im Freiwilligendienst an. Rund 20 freie Stellen gebe es derzeit, berichtet EJW-Sprecher Eberhard Fuhr. Aktiv werden können die Interessierten in Jugendwerken, CVJM, Kirchengemeinden oder in kirchlichen Freizeithäusern. Weitere Informationen gibt es bei Klaus Stoll (freiwilligendienst@ejwue.de)