Stuttgart. Schon vier Amtszeiten lang - seit 1995 - gehört Inge Schneider der württembergischen Landessynode an. Gegenüber elk-wue.de zieht die amtierende Synoden-Präsidentin Bilanz und erklärt, warum sie bei der Kirchenwahl am 1. Dezember nicht erneut antritt.
„Das habe ich durchgesetzt“, „das habe ich entwickelt“ - oder auch: „Das habe ich angestoßen.“ Diese Frau sprüht vor Energie und Willenskraft - und doch kann sie im nächsten Moment völlig befreit und herzhaft loslachen: Inge Schneider, die Synoden-Präsidentin der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, hat mit diesen so gegensätzlich scheinenden Eigenschaften viel mehr erreicht, als der Schwaikheimer Bauerntochter einst vor 66 Jahren in die Wiege gelegt worden schien.
Sie habe immer gekämpft in ihrem Leben, sagt sie über sich selbst. Was wohl auch daran gelegen hat, dass sie schon als Mädchen ihrer Familie auf dem Acker helfen musste - und schnell feststellte: „Ich war einfach nicht für die Feldarbeit geschaffen.“ Sie fasst sich an den Rücken, streckt sich - die Erinnerung daran, mit welchen Schmerzen das tägliche Brot verbunden sein kann, ist noch immer lebendig.
Also setzte sie familienintern nach dem Abschluss der Volksschule den Besuch einer Hauswirtschaftsschule durch. Aber weil auch eine „Karriere“ als Hauswirtschafterin für Inge Schneider keine sonderlich verlockende Perspektive darstellte, machte sie nebenher die Mittlere Reife - und schaffte es dann sogar, im Gymnasium aufgenommen zu werden.
Andere Gymnasien, erzählt die heute 66-Jährige, hatten sie bereits abgelehnt - „ihrem“ Gymnasium hingegen fehlten Schüler. Und deshalb füllte diese höhere Lehranstalt ihre Schülerreihen kurzerhand mit der ehrgeizigen Inge auf.
Was wohl keiner der damaligen Lehrer ahnte: Aus der Schwaikheimer Bauerntochter wird nach einigen Jahren eine Kollegin. „Ich bin von Hause aus Lehrerin für Mathematik und Religion" - eine Fächerkombination, mit der Inge Schneider der Synode ihren Stempel aufdrücken wird. Oft auch gegen Widerstände, wie sie anmerkt.
So habe sie in ihrer ersten Legislaturperiode ab 1995 zwar dem theologischen und liturgischen Ausschuss angehört. Aber sie habe damals bereits die sogenannte Biberacher Tabelle entwickelt, die eine gerechtere Finanzverteilung für die Gemeinden in der großen Fläche der Landeskirche ermöglicht und Schluss gemacht habe mit einer Bevorzugung Stuttgart-naher Gemeinden. Der Oberkirchenrat habe zwar „erst diskutiert, ob eine einfache Synodale überhaupt das Recht hat, ein neues System einzufordern", erinnert sich die Präsidentin, die bis heute in ihrem Geburtsort Schwaikheim lebt. Aber schließlich habe ihr der damalige Finanzdezernent bestätigt, dass ihre „Biberacher Tabelle“ für mehr finanzielle Gerechtigkeit sorge.
Es war eine Art Ritterschlag. „Damit war klar, dass ich eine Begabung für Strukturen habe“, meint Inge Schneider. Von da an habe sie als Gast bei den Sitzungen des Finanzausschusses teilgenommen. Nach der nächsten Kirchenwahl zog sie in den Finanzausschuss ein, wurde erst stellvertretende Vorsitzende und dann Chefin.
Mögen andere in den Zahlen des Haushaltsplans zuweilen eine undurchdringliche Bleiwüste sehen, pflegt die einstige Mathematiklehrerin einen ganz anderen Umgang mit ihnen: „Zahlen sprechen zu mir."
Sie sagt es ohne Pathos, eher als Beschreibung von etwas Selbstverständlichem. Auch, als die württembergische Landeskirche vor harten Sparrunden stand, sah sie Zahlen eher als Wegweiser denn als Unglücksboten.
Und womit sie in ihrer ersten Amtsperiode noch „krachend untergegangen war" - nämlich mit ihrem Vorstoß für eine der Einsparung verpflichtete Pfarrer-Besoldungsordnung, die jüngere Seelsorger finanziell bevorzugt und stattdessen älteren Stelleninhabern die oberste Besoldungsgruppe kappt -, war sie am Ende doch noch erfolgreich: Mit ihr als Präsidentin hat die Landessynode während der Sommertagung im Juli 2019 genau das beschlossen, was Inge Schneider schon damals wollte. Bei ihrem ersten Anlauf hatte sie nur eine einzige - nämlich ihre eigene - Stimme erhalten. Diesmal aber gab's eine breite Mehrheit.
Dass sie nach zwölf Jahren offizieller Zugehörigkeit in ihrer vierten und letzten Amtszeit den Finanzausschuss aufgab und sich stattdessen zur Synodenpräsidentin hat wählen lassen, hängt mit ihrem Nachfolger zusammen: „Als Michael Fritz sagte, dass er den Finanzausschuss übernehmen würde, war ich bereit, als Präsidentin anzutreten“. Der 43-jährige Sparkassen-Betriebswirt führt seitdem „ihren“ Ausschuss - und Inge Schneider räumt ein, dass sie zunächst Schwierigkeiten mit dem Loslassen hatte.
Und doch bereut die 66-Jährige nicht, an die Spitze der Synode gerückt zu sein. Es sei im Vergleich zum Ausschussvorsitz ein „eher geistliches Amt“, das sie auch „noch mehr ins Gebet gebracht“ habe. Beispielsweise habe sie in ihrer jetzigen Funktion die Mittagsgebete während der Synoden eingeführt.
Inge Schneider macht keinen Hehl daraus, dass sie ihre persönliche Frömmigkeit in ihre Amtsführung als Präsidentin hat einfließen lassen: „Arbeiten unter Kreuz und Bibel“ umschreibt sie, was für sie Synode ausmacht. Und ja, manchmal war's auch ein Kreuz...
Es sei ihre schwierigste Zeit als Synoden-Präsidentin gewesen, als sich das Kirchenparlament bei der Frage nach Segnung homosexueller Paare zu einem umstrittenen Kompromiss durchrang: Den einen ging der Beschluss zu weit, den anderen hingegen nicht weit genug. In ihrem Büro im Oberkirchenrat stapelten sich plötzlich Briefe von Hunderten mal mehr, mal weniger empörten Absendern.
Sie selbst sei ursprünglich gegen die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren gewesen. Doch dann habe sie für einen Kompromiss geworben, die Einheit der Landeskirche im Blick. "Es ist mir wichtig, dass wir einander nicht den Glauben absprechen aufgrund unserer verschiedenen Einstellung zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ."
Dass der Glaube an Gott sich nicht an der sexuellen Orientierung entscheide, davon ist Inge Schneider überzeugt. Überhaupt lenkt die Segnungs-Diskussion aus Sicht der Präsidentin vom Wesentlichen ab: „Das Hauptthema ist doch, dass in der Kirche die Kraft Gottes erfahrbar sein soll.“
Dazu gehöre auch, dass Pfarrer wieder mehr Zeit für die Seelsorge vor Ort bekommen müssten. Außerdem gelte es, auch die Generation der 25- bis 40-Jährigen für die Kirche und ihre Botschaft zu gewinnen.
Apropos jüngere Generation: Mit ihr begründet die Synodenpräsidentin ihre Entscheidung, bei der Kirchenwahl am 1. Dezember nicht wieder anzutreten: „Wir haben in Leitungsfunktionen zu wenige Menschen im jüngeren und mittleren Alter“ sagt die 66-Jährige. „Wenn wir wollen, dass sich Kirche weiterentwickelt, müssen wir Älteren den Jüngeren Platz machen.“ Angesichts der aktuellen Kandidatenliste hege sie deshalb Hoffnung, dass der Altersdurchschnitt der 16. Landessynode deutlich unter jenem des aktuellen Kirchenparlaments liegen wird.
Gelinge diesse Verjüngung jedoch nicht, „brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir als Kirche die 25- bis 45-Jährigen verlieren“, warnt Inge Schneider.
Sie selbst hat ihre persönliche christliche Botschaft erfolgreich an die nächste Generation weitergegeben: Zwei ihrer drei Söhne sowie eine Schwiegertochter haben den Pfarrberuf ergriffen. Und dass ihr nach dem Ausscheiden aus der Synode langweilig werden könnte, befürchtet die Noch-Präsidentin nicht: „Es ist ja nicht so, dass mir die Ideen ausgegangen sind“, sagt sie lachend und mit einem geradezu schelmischen Schmunzeln.
Einerseits koche und backe sie gerne und erfinde auch schon mal neue Rezepte. Andererseits „habe ich vier Enkel, die ich auch öfter sehen möchte“. Und dann habe sie „so einige Vorstellungen“: Einen Wohnzimmertreff, der aktuelle gesellschaftliche Themen diskutiert, würde sie ebenso gerne gründen wie ein eigenes Buch schreiben.
Denn „ich habe so viele Dinge erlebt, die auch andere interessieren könnten": Beispielsweise war sie in den 1980er Jahren im Auftrag der Herrnhuter Missionshilfe vier Jahre lang in Tansania tätig - dort sei ihr übrigens zugute gekommen, dass sie trotz ihrer Abneigung gegen Feldarbeit noch immer wusste, wie man einen Acker anlegt...
Und was die Höhepunkte ihrer Präsidentschaft angeht, dürfte der Stoff ebenfalls für einige Kapitel ausreichen: Reformationsjubiläum, Evangelischer Kirchentag in Stuttgart oder die Feiern zum 150-jährigen Bestehen der württembergischen Landessynode sind da nur ein paar Beispiele.
Siegfried Denzel
Mit dem Beitrag über die scheidende Synoden-Präsidentin Inge Schneider beginnen wir eine Reihe mit Porträts jener Synodalen, die seit vier Amtsperioden dem Kirchenparlament angehören - und die mit dem Ende der 15. Landessynode auch ihren persönlichen Abschied vom Ehrenamt einer beziehungsweise eines Synodalen nehmen.