Er trägt Polizeiuniform - doch seine Schulterklappen haben keine blauen, silbernen oder goldenen Rangabzeichen. Ein Kreuz zeigt an: Tobias Gentsch ist Seelsorger, und seine Gemeinde sind die Beamten der Bundespolizei in Baden-Württemberg.
Eigentlich wollte sich Tobias Gentsch bei der Lagebesprechung in Karlsruhe nur kurz als neuer Bundespolizeipfarrer vorstellen. Doch es kam anders.
Bombendrohung im Bundesverfassungsgericht! Und der evangelische Theologe durfte direkt mit zum Einsatz. Ein Bombenentschärfungsteam rückte an. Der Gerichtsbeamte, der Kontakt mit dem verdächtigen Päckchen hatte, wurde isoliert und musste mit diesem in einem Raum ausharren, bis klar war, dass es sich bei dem Päckchen weder um Giftgas noch um einen Sprengsatz handelte. Gentsch nahm sich des Justizbeamten an, führte ein kurzes seelsorgerisches Gespräch.
Diese spontanen Gespräche gehören zum Alltag des 42-jährigen Pfarrers, der seit einem Jahr zusammen mit seinem katholischen Kollegen Stefan Sellinger Ansprechpartner für die Bundespolizisten in ganz Baden-Württemberg ist. Tobias Gentsch, der bei der Bundespolizeidirektion Stuttgart in Böblingen sein Büro hat, besucht die Reviere und versucht so, das Vertrauen der Beamten zu gewinnen, um dann im Ernstfall für diese seelsorgerisch da sein zu können.
Doch das ist nicht alles: Wenn der Alltag es in den Polizeiteams knirschen lässt, ist er als Konfliktmoderator gefragt. Außerdem ist Gentsch für den berufsethischen Unterricht der Beamten mit zuständig, und er organisiert Fortbildungen sowie Seminare. „Es ist wichtig, dass Polizisten ethisch gefestigte Persönlichkeiten sind - schließlich müssen sie in manchen Situationen auch Gewalt anwenden und die Grundrechte anderer einschränken."
Die meisten Bundespolizisten, mit denen er bisher zu tun hatte, seien engagierte, differenziert denkende Beamte, die einen hohen ethischen Anspruch und einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn mit in ihren Dienst bringen, erzählt Gentsch. Dass der Rechtsextremismus in der Bundespolizei ein Problem ist, kann er nicht bestätigen. „Aber natürlich können Einzelfälle extremistischen Gedankenguts nicht kategorisch ausgeschlossen werden", so seine Einschätzung.
Ende vergangenen Jahres war beispielsweise bei der hessischen Polizei in Frankfurt/Main ein rechtsextremes Netzwerk aufgeflogen; daraufhin konstatierten Sozialwissenschaftler sowohl der Bundeswehr als auch der Polizei eine wachsende Attraktivität für Rechtsextreme: „Beide Arbeitgeber ziehen stärker als andere Personen mit eher autoritären Gesellschafts- und Ordnungsvorstellungen an", sagte beispielsweise Sozialwissenschaftler Jan Schedler von der Ruhr-Universität Bochum der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Doch zurück zu Tobias Gentsch und seinen Erfahrungen: Zum Teil gebe es Beamte, die durch erlebte Gewalt und politisch schwierige Rahmenbedingungen verbittert und zermürbt wurden. „Wenn Polizisten häufig erleben, dass sie einen Straftäter festnehmen und dabei vielleicht sogar selbst verletzt werden, dieser aber dann auf Beschluss der Staatsanwaltschaft wieder auf freien Fuß gesetzt wird, dann ist das nicht leicht zu verkraften." Außerdem komme es auch vor, dass bereits festgenommene Straftäter wieder entlassen werden müssen, weil kein geeignetes Gefängnis Platz hat.
Auch die unklaren europäischen Regelungen in der Migrationspolitik wirkten sich auf einzelne Beamte aus. „Wenn beispielweise Menschen ohne Bleiberecht zum zweiten und dritten Mal nach Italien abgeschoben werden und sie immer wieder nach Deutschland einreisen, stellt sich dem Bundespolizisten verständlicherweise die Frage nach dem Sinn seiner Arbeit."
Auch der große Personalmangel beschäftigt die Bundespolizei seit vielen Jahren. Zwar gebe es derzeit die größte Einstellungsoffensive seit der Gründung der Bundesrepublik, in der deutschlandweit bis zum Jahr 2022 insgesamt 20.000 neue Beamte eingestellt werden sollen. „Das führt dann hoffentlich zur ersehnten Entlastung".
Aber bis dahin werden die Herausforderungen erst noch größer, so Gentsch: In dem riesigen Ausbildungszentrum in Bamberg gebe es derzeit 5.000 Anwärter, die von Polizisten ausgebildet werden müssen, die währenddessen in den Revieren fehlen.
Die Integration der neuen Mitarbeiter, aber auch terroristische Bedrohungen seien große Herausforderungen für die Beamten, sagt der Bundespolizeipfarrer. Er erlebte selbst vor Ort, wie angespannt die Lage war, als Bundespolizisten nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg im Dezember vergangenen Jahres im Grenzgebiet nach dem Attentäter fahndeten. „Jederzeit hätte es zu einem Schusswechsel kommen können, wenn man in einem Zug oder bei einer Straßenkontrolle dem Attentäter gegenübersteht."
„Diese Anspannung, gepaart mit zunehmender Respektlosigkeit und Gewaltbereitschaft gegenüber Polizeibeamten, macht das Leben für Bundespolizisten herausfordernd - ebenso wie manchmal das Gefühl, von der Politik alleine gelassen zu werden", erzählt der Pfarrer, der auch gelernter Tischler ist.
Er will zuallererst zuhören, verstehen und für die Beamten da sein. Auch Alltagsprobleme und Lebensbegleitung gehören zu seinen Aufgaben. So habe er Anfang des Jahres eine junge Bundespolizistin nach einem tödlichen Verkehrsunfall beerdigen müssen. „Gerade in diesem tragischen Moment war deutlich zu spüren, dass die Bundespolizei auch eine Familie ist, die zusammensteht", sagt Gentsch.
Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)
Im Gegensatz zu den Länder-Polizeien untersteht die Bundespolizei direkt dem Bundesinnenministerium. Nach eigenen Angaben beschäftigte die Bundespolizei am 1. Februar 2019 genau 46.328 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Von ihnen sind 38.477 Polizeivollzugsbeamte.
Zuständig ist die Bundespolizei für die Sicherung von 3.831 Kilometern Land- und 888 Kilometern Seegrenze, für die Sicherheit auf den 14 großen deutschen Verkehrsflughäfen sowie für den Schutz der Bahnstrecken und die Sicherheit an und in den rund 5.700 deutschen Bahnhöfen.