Stuttgart. Welchen Nutzen können Kirchengemeinden aus der Digitalisierung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ziehen? Das ist die zentralew Frage beim 4. Digitalisierungsforum am Freitag, 13. September. Der Beitrag wird fortlaufend aktualisiert.
„Virtualität steuert Realität“. Diesen Titel hat der Digitalisierungsexperte Professor Heiner Lasi über seinen Vortrag beim 4. Forum Digitalisierung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg gestellt. Digitalisierung sei die Voraussetzung dafür, dass die Virtualität die Realität steuert.
Er erläuterte dieses Prinzip am Beispiel einer Gefriertruhe. Diese habe die Fähigkeit, zu kühlen und dadurch Lebensmittel länger frisch zu halten. Wenn nun Algorithmen der Energieversorger Gefriertruhen anhand bestimmter Vorgaben wie Wetterdaten oder Energiespitzen steuern würde, dann ließe sich zum Nutzen aller viel Energie sparen. Allerdings sei hier eine Offenheit gegenüber dieser Technologien gefragt.
„Was hat das mit der Kirche zu tun?“, fragte Lasi. Die Kirche könne zum einen überlegen, welche „virtuelle Abbilder“ es in ihrem Ökosystems gibt und wie diese genutzt werden zu können, um Realität zu verändern. Das könne zum Beispiel sein, Termine innerhalb der Gemeinde über bestimmte technische Tools festzulegen, die auch Ereignisse außerhalb der Kirche berücksichtigt. Etwa die Termine in der Kommune, die Champions League oder das Sportturnier an der Grundschule.
Zum anderen müsse Kirche die biblische Wahrnehmung einbringen, so Lasi weiter. „Wir übertragen Verantwortung von der Realität in Virtualität, also auf Algorithmen oder auf Künstliche Intelligenz. Die Kirche muss hier sprachfähig sein.“ Wann etwa mache es Sinn, diese Verantwortung zu übertragen? Welche Art Verantwortung wolle man als Gesellschaft übertragen - immer mit dem Bewusstsein, dass ein Computer eigentlich „dement“ ist, also in der Regel menschliche Parameter wie Kreativität nicht mit einbezieht.
Lasi provozierte mit der Aussage, dass Daten nicht sensibel und damit nicht schützenswert seien: „Was ist an der Temperaturanzeige einer Gefriertruhe sensibel?“ Er wünschte sich eine stärkere Offenheit zum Thema Virtualität und eine Diskussion darüber, was Daten eigentlich seien, ab welchem Grad sie schützenswert sein könnten und vor allem: in welchem Kontext sie schützenswert seien.
Zum Start in den Tag hatte Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July in einem geistlichen Impuls dafür geworben, die digitalen Ressourcen verstärkt zur Verkündigung der christlichen Botschaft zu nutzen. Die weltweiten ökumenischen Netzwerke seien ohne Internet-Kommunikation gar nicht mehr denkbar, so der Landesbischof. Ziel sei aber keine rein virtuelle Kirche: Gottesdienste solle man besser „analog erleben", sagte July.
Professor Dr. Heiner Lasi leitet seit April 2015 das Ferdinand-Steinbeis-Institut und ist Inhaber der Professur für Industrial Intelligence an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Privat engagiert er sich als Kirchengemeinderat in seiner Gemeinde.
Was ist eine „Dienstforelle“? Und warum braucht diese „Wanderhilfen“? Dr. Winfried Klein bemühte ein Bild aus der Fischwanderung für seinen Vortrag beim Digitalisierungsforum. Die „Dienstforelle“ steht dabei für alle Informationen, die bisher auf dem Dienst- oder Behördenweg übermittelt wurden. Das sei etwa die Dienstpost, die die Pfarrerinnen und Pfarrer in den Dekanatsämtern persönlich abholen müssen.
Zu dieser analogen Kommunikation seien E-Mail und Chat hinzugekommen - Kanäle „mit deutlich größerer Fließgeschwindigkeit“. Beide Kommunikationswege laufen nebeneinander, Übergänge sind mit Hindernissen verbunden. Etwa, dass viele Vorgänge laut Kirchengesetz der Schriftform bedürfen, allerdings häufig vorher per E-Mail besprochen werden. Es brauche also, so Klein, „Wanderhilfen“ zwischen den Kommunikationskanälen.
Das Ziel der Landeskirche sei es, einen digitalen Dienstweg zu etablieren, erklärte Klein. Voraussetzung dafür seien ein Workflow zwischen den Hierarchien, eine Bündelung der Daten, sowie Datensätze, die diese Hierarchien auch abbilden, unabhängig von Personen. Wichtig sei dabei, sicher und revisionssicher kommunizieren zu können. Bis dahin wird es noch dauern. Es gebe aber schon einige Beispiele und Ansätze in diese Richtung, etwa Überlegungen für einen elektronischen Bauantrag.
Dr. Winfried Klein arbeitet seit 2016 im Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart, zunächst als Leiter des Referats Allgemeines Recht im Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart, in dessen Zuständigkeit das Datenschutzrecht und das Medienrecht fällt. Seit 2018 leitet er das Referat Strukturfragen und Digitalisierung.
Welchen Nutzen bringt digitale Kommunikation für Kirchengemeinden und kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Um diese Frage ging es bei den Workshops beim 4. Digitalisierungsforum der Landeskirche.
Vorgestellt wurde unter anderem eine Plattform für ein digitales Gemeindemanagement, nämlich ChurchTools. Es wird derzeit in einigen Modellgemeinden getestet und soll künftig Teil einer geplanten digitalen Gesamtplattform der Landeskirche sein. Mit ChurchTools können Adressen, Termine und Planungen für Gruppen und Events, etwa Raumbuchungen und Dienstleistungen wie Technik und Catering, in einem Programm durchgeführt werden. Es lassen sich beliebig viele Nutzer einbinden und flexibel Benutzerrechte zuteilen. Die Plattform steht auch als App zur Verfügung.
Emotionen zeichnen ein gutes Posting aus. Das war das Fazit des Social-Media-Workshops beim Digitalisierungsforum. Dort erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer praktische Tipps, wie sie Soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram und Twitter erfolgreich für ihre Gemeindearbeit einsetzen können. Das reichte von der Bildauswahl, über Sprachstil und Zeitpunkt des Postings. „Bleiben Sie an Ihrer Zielgruppe und Ihren Followern dran und finden Sie heraus, was sie bewegt. Sie müssen mit den Menschen interagieren. So schaffen Sie es, sich eine Community aufzubauen“, schärfte die Social-Media-Referentin im Evangelischen Medienhaus, Nadja Golitschek den Interessierten ein.
Der Direktor des Oberkirchenrats, Stefan Werner, berichtete abschließend über den Stand der Diskussionen und Entwicklungen im Bereich Digitalisierung in der Landeskirche.
Er zeigte sich erfreut über das positive Feedback zum Computerspiel „One of the 500“ aus der Gamer Szene. Das Interesse sei größer als erwartet. „Für uns ist das eine Lernerfahrung“, sagte Werner. Es lohne sich, den Mut zu haben, auch mal an „außerkirchliche Türen zu klopfen“. Das Spiel soll zu Weihnachten 2020 auf den Markt kommen.
Auch im Bereich E-Learning und Entwicklung einer landeskirchlichen E-Learning-Plattform käme man voran, so Werner. Im Januar soll dazu ein Projekt starten, das auf drei Jahre angelegt ist.
Besonders wichtig sei auch das Thema Ethik. Die Kirche habe das Ziel, an der nötigen ethischen Debatte innerhalb der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. „Wir wollen hier ein wichtiger Akteur sein“, so Werner. Derzeit arbeite man an dialogischen Formaten für diese Diskussion.