Sie öffnet die Fahrertür, steigt ein und sagt: „Das ist mein eigentliches Büro. Ich habe zwar eines in Freudenstadt mit einer guten und freundlichen Mitarbeiterin. Aber so viel Zeit wie ich im Auto verbringe...“
Heike Hauber (61) ist Pfarrerin für Gastronomie und Tourismus im Kirchenbezirk Freudenstadt. Sie ist die einzige Pfarrerin in der Gastronomieseelsorge in der württembergischen Landeskirche und in der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Bis zu 160 Kilometer legt sie am Tag zurück. Da kommen im Jahr schon 30.000 Kilometer zusammen, sagt sie. „Immerhin fahre ich ein Erdgasauto. Ein kleiner Kompromiss.“
Ganz besondere Leute
Elk-wue.de hat sie einen Tag lang begleitet. Von Nagold, dem Ort, an dem ihr Mann Reinhard Pfarrer an der Stadtkirche ist und sie beide leben, zunächst nach Loßburg. Dort will sie ein älteres Gastronomenpaar besuchen. Unterwegs weist sie nach links und rechts. Immer wieder. „Schauen Sie nur, wie schön das ist. Einfach herrlich.“ Heike Hauber liebt diese Landschaft und die Menschen hier. Vor allem „ihre“ Gastronomen. „Das sind ganz besondere Leute: weltoffen und großzügig, gastfreundlich und ortsgebunden“, betont sie. „Sie arbeiten fast immer. Vor allem an den Sonn- und Feiertagen, aber auch abends, auch unter der Woche.“ Deshalb hätten sie auch kaum die Möglichkeit, am Leben einer Ortskirchengemeinde teilzunehmen. Dabei seien die Menschen, die in der Gastronomie arbeiten, der Kirche häufig sehr verbunden.
Und so besucht sie sie eben. Der Nordschwarzwald mit Orten wie Baiersbronn, Freudenstadt, Loßburg und Alpirsbach wird von Touristen geschätzt. 125 bis 150 Hotels liegen in ihrem Sprengel, auf die sie sich hauptsächlich konzentriert.
Loßburg. Gottlieb Beck (77), Inhaber des Hotels Hohenrodt, erwartet sie schon an der Rezeption. Beide umarmen sich herzlich. Und wenige Minuten später sitzt man bei einer Tasse Kaffee am Tisch. Auch Gottliebs Frau Gertrud ist inzwischen gekommen. Heike Hauber fragt nach, wie es beiden geht. Sie weiß, Gottlieb Beck ist vor einiger Zeit gestürzt. „In 77 Jahren war ich nur einmal im Krankenhaus – und da habe ich mich nach vier Tagen selbst entlassen“, sagt er.
Gestiegene Ansprüche – schwindende Kräfte
Er ist mit seinem Betrieb groß geworden. Und alt. Gertrud und er merken wie die Kräfte schwinden. Aber ihr Herz hängt noch ganz an ihrem Hotel, auch wenn sie inzwischen einen Geschäftsführer eingesetzt haben. „Als Gastronomen haben wir es schwer, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden“, sagt er. Das liege weniger an der Bezahlung als an den Arbeitszeiten. „Wenn der eine in der Gastronomie arbeitet und die andere in der Industrie, dann können die kaum zusammen leben. Wenn die eine heimkommt, muss der andere fort.“
So haben sie Personal aus aller Welt eingestellt mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen, Ausbildungen, Empfindlichkeiten. Die Folge ist eine hohe Fluktuation in der Belegschaft. Aber alle scheinen ihnen auf die ein oder andere Weise ans Herz gewachsen.
Rückzug von der Rezeption
An der Rezeption will Gottlieb Beck demnächst nicht mehr arbeiten. „Nehmen Sie mal einen Hotelbetrieb mit 10.000 Übernachtungen im Jahr“, sagt er. Die Gäste bleiben heutzutage zwei bis drei Nächte. Rechnen Sie mal aus, wie viele Hände Sie da schütteln, wie vielen Leuten Sie ein Lächeln schenken und wie viele Tipps zur Freizeitgestaltung Sie geben müssen. Und die Ansprüche werden immer höher. Er habe mal einen Ortspfarrer gebeten, sonntags auch mal die Menschen in der Gastronomie mit ins Gebet einzuschließen. Der habe das nicht getan und ihn enttäuscht. „Da tut es gut, eine Gastronomiepfarrerin zu haben, die ein Ohr für uns hat, und das Leben in der Gastronomie kennt.“
Hin zu den Menschen
Wie baut man Gemeinde im Gastgewerbe? „Indem man zu den Menschen geht“, sagt Heike Hauber. Und durch Gottesdienste. Und das sind sie:
- der Weihnachtsgottesdienst in Baiersbronn- Friedrichstal, jeden Dienstag nach Epiphanias, 6. Januar, zusammen mit der örtlichen Gemeinde, dem Posaunenchor und dem Flötenkreis und anschließendem Beisammensein im geschmückten Gemeindesaal;
- der Ostergottesdienst, zwei Wochen nach Ostern;
- die Sommerwanderung mit Andacht und Einkehr;
- und der Gottesdienst zum Saisonabschluss in Freudenstadt.
All diese Gottesdienste sind ökumenisch. Und beginnen erst um 21:45 Uhr. Wegen der Arbeitszeiten. Ab und an kommen Taufen, Trauungen oder Beerdigungen hinzu. Heike Hauber macht einzelnen Hotels aber auch eigene Angebote.
Angebote auch für einzelne Häuser
Ortswechsel. Tanne Tonbach. Ein mittelständiges Ferienhotel, das im Jahr 1868 als kleine Fuhrmannswirtschaft begann. „Frau Hauber ist einfach vorbeigekommen, hat sich vorgestellt und gesagt, dass sie bereit wäre, auch bei uns im Haus etwas zu machen“, berichtet Jutta Möhrle, die zusammen mit ihrem Mann Jörg den Betrieb führt.
Jetzt kommt die Gastronomiepfarrerin auch zu den Märchentagen ins Haus. „Da wird ein großes Adventsfenster geöffnet, Frau Hauber erzählt eine Geschichte und spricht einen Segen“, so Möhrle. Die gemeinsame Gestaltung der Adventsnachmittage werde von den Gästen gut besucht. „Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit kommen ja sehr Viele ins Hotel, die die Feiertage nicht allein zuhause verbringen wollen“, sagt sie. Aber auch für die Belegschaft sei die Pfarrerin wichtig. „Sie besuchen auch die Gastronomie-Gottesdienste, weil man weiß, man trifft sich dort.“ Zudem zeige die Pfarrerstelle und die Präsenz der Pfarrerin den Mitarbeitenden, dass sie jemanden haben, an an den sie sich in Notsituationen wenden können.
Hirt und Wirt gehören zusammen
„Ich bin eine Teamplayerin“, sagt Heike Hauber später im Auto. Deshalb ist für sie der Arbeitskreis Gastronomie und Kirche“ so wichtig, der an diesem Nachmittag zusammenkommt. Etwa vier Mal im Jahr lädt sie dazu Leute aus der Gastronomie ein, die der Kirche nahestehen sowie Kirchenmitglieder, die ein Herz für die Gastronomie haben. Auch Pastoralreferent Dominik Weiß, auf katholischer Seite für die Gastronomieseelsorge zuständig, ist immer mit dabei.
Heute ist der Besuch eher übersichtlich. Aber so ist das nun mal, wenn die Zielgruppe problematische Arbeitszeiten hat. Immerhin, der Besuch der Gastronomiegottesdienste nimmt seit einiger Zeit zu, stellt einer fest. Auch wenn man in den großen Betrieben schwer an die Mitarbeitenden herankomme. Wir sollten noch stärker zu den Leuten gehen, meint Weiß. Es gebe im Sprengel ein großes und bekanntes Hotel mit eigener Kapelle. „Vielleicht könnten wir dort noch etwas anbieten.“ Ein anderer wird ganz grundsätzlich. In gewachsenen Orten stehen Kirche und Gasthof oft eng beieinander, bemerkt er. Sie seien die Seele des Ortes. „Hirt und Wirt gehören zusammen. Wenn einer von Ihnen fehlt, fehlt wirklich was.“