Halle/Stuttgart/Esslingen/Ulm. Entsetzen und Fassungslosigkeit über den antisemitischen Anschlag in Halle mit zwei Todesopfern und mehreren Verletzten: „Antisemitismus ist Gotteslästerung“, betont Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July; die Landeskirche stehe „fest an der Seite unserer jüdischen Geschwister“. Der Kirchenbezirk Esslingen ruft zu einer Solidaritätsaktion am Donnerstagabend vor der Synagoge in Esslingen auf.
Ein 27-Jähriger aus Benndorf bei Eisleben steht unter dringendem Verdacht, am Mittwoch schwerbewaffnet die vollbesetzte Synagoge in Halle angegriffen zu haben; die Gemeinde dort feierte gerade Jom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag. Weil die verschlossenen Türen den Schusswaffen und Molotow-Cocktails standhielten, hat er sich ein anderes Ziel gesucht: In einem nahen Döner-Imbiss soll zwei Menschen erschossen und weitere teilweise schwer verletzt haben.
„Ich bete für die Opfer und ihre Angehörigen sowie die jüdische Gemeinde in Halle und alle unsere jüdischen Geschwister", heißt es in einer Erklärung von Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July am Tag nach dem Anschlag eines Rechtsextremisten. „Bestürzt, traurig und sehr entschlossen sage ich nach der Schandtat von Halle, dass wir fest an der Seite unserer jüdischen Geschwister stehen."
Außerdem stehe die Landeskirche dafür, dass „das Leben und die Würde eines jeden Menschen zu achten“ ist - und will „mit vereinten Kräften rechtsextremer Gesinnung entgegentreten."
Als sichtbares Zeichen dafür ruft der Kirchenbezirk Esslingen am heutigen Donnerstag ab 19 Uhr zu einer Solidaritätsaktion direkt vor der Synagoge der Stadt auf; sie ist das älteste jüdische Gotteshaus in Württemberg.Sie soll „eine Absage an Antisemitismus und Rechtsradikalismus sein", heißt es im Aufruf des Esslinger Dekans Bernd Weißenborn. „Wir wollen ein Zeichen der Verbundenheit setzen. Wir stehen zusammen für unsere jüdischen Mitbürger." Teilnehmen will auch die Stuttgarter Prälatin Gabriele Arnold.
Zu Wort gemeldet hat sich auch der Rat der Religionen in Ulm: „Wir trauern mit den Angehörigen der Opfer, bangen um die Verletzten und stellen uns an die Seite unserer jüdischen Geschwister“, heißt es in einer Erklärung; unterzeichnet ist sie vom katholischen Dekan Ulrich Kloos und Imam Israfil Polat. Und weiter: „Diesmal werden es die Antisemiten nicht schaffen, unser Zusammenleben und unsere freiheitliche Grundordnung zu zerstören. Diesmal nicht!“
Ausgelegt ist diese Erklärung im Nordschiff evangelischen Münster, wo auch eine brennende Kerze sowie ein Gedenkbuch an die Toten und Verletzten von Halle erinnern sollen - und sich Münster-Besucher mit Kondolenz-Unterschriften solidarisch mit der jüdischen Gemeinde erklären können.
Die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, Professorin Barbara Traub, kritisierte gegenüber dem SWR einen teilweise ungenügenden Schutz der jüdischen Gemeinden. Nach ihren Worten haben die Gemeinden auf politischer Ebene „immer wieder Verhandlungen geführt, dass Gemeinden stärker geschützt werden sollten“. Dies sei „nicht immer im gebührenden Maß zur Kenntnis genommen worden“, sagte Traub, die auch Präsidiumsmitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland ist.
Nach Anschlägen auf Synagogen in anderen europäischen Ländern oder auch in den USA seien jüdische Gemeinden „schon lange davon ausgegangen“, dass auch in Deutschland ein Anschlag stattfinden könne. Dennoch, betonte Barbara Traub „wollen wir unsere Offenheit bewahren“.
So solle es beispielsweise in Stuttgart weiterhin Führungen in der dortigen Synagoge geben. Außerdem lädt die Gemeinde am Sonntag, 20. Oktober, zwischen 14 und 17 Uhr zu einem „Tag der offenen Laubhütte“ ein; an jenem Tag endet das einwöchige Laubhütenfest. Gäste seien willkommen, allerdings gebe es Ausweiskontrollen, hieß es von Seiten der jüdischen Gemeinde.
Ein Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums verwies am Donnerstag auf „offene und verdeckte Präsenz- und Aufklärungsmaßnahmen, regelmäßige Kontaktaufnahmen mit den Objektverantwortlichen sowie das Führen von entsprechenden Sicherheitsgesprächen und die Festlegung von polizeilichen Ansprechpartnern in Eilfällen". So wisse jede jüdische Gemeinde, wer bei der Polizei Ansprechpartner ist.
Landesbischof July zeigte sich unterdessen „erschüttert, dass der Staat überhaupt Synagogen schützen muss". Dieser Schutz müsse dann „aber wirkungsvoll sein“.
Gleichzeitig forderte er zu Zivilcourage auf, um rechtsextremer Gesinnung Widerstand zu leisten: „ Jeder kann dazu beitragen. Widersprechen, wenn dumpfes Geraune hörbar oder Geschichtsfälschung hoffähig wird."
Der Beitrag wurde aktualisiert.
Mit Material des Evangelischen Pressedienstes (epd)