Stuttgart. Mehr als 400.000 Mitglieder der Landeskirche haben gewählt - und für neue Mehrheitsverhältnisse in der Synode gesorgt. Landesbischof July betonte am Montag bei der Vorstellung des Ergebnisses zwar, dass das Kirchenparlament „keine Kopie eines weltlichen Parlaments“ sein könne. Doch bereits während der Pressekonferenz zeichnete sich ab, bei welchen Themen die vier Gesprächskreise hart um Mehrheiten verhandeln müssen - und wo Konfliktlinien verlaufen.
Der bisher als stärkste Kraft deutlich führende, pietistisch geprägte Gesprächskreis „Lebendige Gemeinde“ (LG) verlor acht Sitze und kommt künftig noch auf 31 Synodale. Das sind genauso viele wie die „Offene Kirche“ (OK) stellen wird; gegenüber der Kirchenwahl 2013 hat dieser liberal ausgerichtete Gesprächskreis einen Sitz dazugewonnen.
Drittstärkste Gruppe ist „Evangelium und Kirche“ (EuK) mit 16 Mandaten (plus einem) und dem eigenen Anspruch, als Kraft der Mitte zu wirken. Kleinster Gesprächskreis bleibt zwar die als Reforminitiative antretende Gruppe „Kirche für morgen“ - mit künftig zwölf Sitzen hat sie ihre bisherige Mandatszahl von fünf aber mehr als verdoppelt.
Für Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July ist trotz der veränderten Mehrheitsverhältnisse in der Synode klar, dass Kontinuität auch in den nächsten sechs Jahren bestimmend sein wird: „Wir werden eine betende und eine gesellschaftlich engagierte Kirche sein und bleiben." Und angesichts mancher zuweilen schriller Töne im Kirchenwahlkampf betonte er, dass eine Landessynode „keine Kopie eines weltlichen Parlaments sein“ könne, „in denen Parteien ihre Interessen durchsetzen".
Bei allen unterschiedlichen Positionen gelte es, „im Respekt vor den je anderen Vorstellungen“ nach gemeinsamen Wegen für die Kirche zu suchen, mahnte er. „Wir wollen nicht die Fliehkräfte und das Nicht-Verstehen-Wollen bedienen, sondern den Zusammenhalt.“
Bereits bei der Wahl eines Synodenpräsidenten oder einer -präsidentin dürfte es zwischen den Gesprächskreisen zu einem langen Tauziehen kommen. Der Nagolder Dekan Ralf Albrecht, dessen „Lebendige Gemeinde“ als bislang deutlich stärkste Gruppe mit Inge Schneider die Präsidentin stellte, sprach von einem „interessant zu verhandelnden Gesamtpaket“. Zwar räumte Albrecht die aus seiner Sicht „schmerzhaften“ Verluste ein. Aber er machte auch klar, dass sein Gesprächskreis weiter selbstbewusst auftreten will: „Wir sind immerhin weiter mit 31 Synodalen unterwegs.“ Und neben dem Präsidentenamt gehe es ja auch noch um den Vorsitz in den Fachausschüssen...
Zu einer offenen Kontroverse kam es zwischen den Vertretern von „Evangelium und Kirche“ auf der einen und „Kirche für morgen“ auf der anderen Seite. Der Stuttgarter Stadtdekan Søren Schwesig, der sich für EuK vergeblich um einen Sitz in der Synode beworben hatte, hielt der „Kirche für morgen“ vor, im Wahlkampf die Kirche schlechtgeredet zu haben - etwa mit der Einschätzung, dass sich die Kirche im Koma befinde. Oder mit einem Spot, der die Situation in der Kirche als „traurig, verstaubt und langweilig“ beschrieb. Er sei sogar Kfm-Mitgliedern begegnet, die sich für diese Art von Wahlkampf entschuldigt hätten.
Der Sindelfinger Gemeindepfarrer Dr. Jens Schnabel als Vorsitzender der Kfm hielt dagegen: „Wir haben die Kirche nicht schlechtgeredet.“ Allerdings „haben wir viele Probleme in der Kirche. Wir finden, dass man sich damit kritisch auseinandersetzen muss“. Das Wahlergebnis für seine Gruppe wertete er als „deutliches Signal für den Aufbruch“. Persönlich hat allerdings auch Schnabel sein Wahlziel nicht erreicht: Er hatte im Wahlkreis Böblingen/Herrenberg kandidiert - und den Einzug in die Synode verpasst.
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Laute Töne machte LG-Vertreter Albrecht zumindest indirekt für das schlechte Ergebnis mancher LG-Kandidaten verantwortlich. Dass beispielsweise mit dem noch amtierenden Finanzausschuss-Vorsitzenden Michael Fritz ein profilierter Synodaler am Sonntag gescheitert ist, sei sachlich kaum nachzuvollziehen, meinte Albrecht - und überlegte: Möglicherweise seien besonnene Botschaften des Finanzausschusses weniger gut in der Öffentlchkeit angekommen als Forderungen, „Geld rauszuhauen“.
Das konnte als Seitenhieb auch auf den Gesprächskreis „Offene Kirche“ verstanden werden, für den Pfarrerin Erika Schlatter-Ernst aus Stuttgart unter anderem die Rücknahme von Kurzungen beispielsweise in der Krankenhaus- oder Gefängnisseelsorge forderte oder den Einsatz kirchlicher Gelder im sozialen Wohnungsbau.
Dass am Sonntag 412.200 Mitglieder der Evangelischen Landeskirche in Württemberg von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht haben, wertete Landesbischof July in seiner Wahleinschätzung als grundsätzlich positiv. „Entgegen mancher Unkenrufen“ sei man über der Marke von 400.000 geblieben.
Trotzdem habe er sich angesichts „der engagierten Wahlvorbereitung und viel persönlichem Einsatz“ eine höhere Wahlbeteiligung gewünscht; sie liegt mit 23,24 Prozent um rund ein Prozentpunkt unter dem Wert von 2013.
Dabei unterscheiden sich die Wahlkreise teilweise deutlich voneinander: Die höchste Wahlbeteiligung erreichte der Wahlkreis 12 (Crailsheim/Blaufelden/Weikersheim) mit 29,7 Prozent; im Wahlkreis 21 (Tuttlngen/Balingen) war sie mit 15,8 Prozent am niedrigsten.
July dankte nicht nur allen Wählern, sondern auch den Kandidatinnen und Kandidaten - und nicht zuletzt den mehr als 10.000 Wahlhelferinnen und -helfer. Den nicht gewählten Kandidaten wünschte der Landesbischof „einen schnellen Weg aus möglicher Enttäuschung“.
„Stimmenkönig“ - also der Kandidat mit der höchsten Stimmenzahl in ganz Württemberg - wurde am Sonntag der Stuttgarter Stiftskirchenpfarrer Matthias Vosseler. Der Kandidat von „Kirche für morgen“ erhielt 18.717 Stimmen. Prozentual das beste Ergebnis hat hingegen Maike Sachs, Pfarrerin von Gächingen/Lonsingen, erreicht: Als Bewerberin der „Lebendigen Gemeinde“ kam sie auf 8.373 Stimmen - das sind 72,25 Prozent.
Jüngster Synodaler wird Michael S. Klein (Jahrgang 1998) aus dem Wahlkreis 5 (Esslingen/Bernhausen) sein; Alterspräsidentin ist Hannelore Jessen (Jahrgang 1950) aus dem Wahlkreis 10 (Weinsberg/Neuenstadt/Öhringen). Der Altersdurchschnitt aller Synodalen liegt bei 51 Jahren; 16,7 Prozent der Gewählten sind jünger als 40 Jahre. Der Frauenanteil der Synode liegt bei 40 Prozent.
Die Mitglieder der 16. Landessynode treffen sich am 15. Februar 2020 im Hospitalhof in Stuttgart zu ihrer konstituierenden Sitzung. Erste reguläre Tagung ist die Sommersitzung vom 2. bis zum 4. Juli. Die Amtszeit der Synode beträgt sechs Jahre.
Der Beitrag wurde aktualisiert: Laut amtlichem Endergebnis beträgt die Wahlbeteiligung 23,24 Prozent; das vorläufige Endergebnis war noch von einer Wahlbeteiligung von 22,9 Prozent ausgegangen. Eine Auswirkung auf die Zusammensetzung der Synode hat die etwas höhere Wahlbeteiligung nicht.