Charlotte Reihlen, eine fromme Fabrikantenfrau und frühe Frauenförderin, lebt weiter in ihren Initiativen. Sie gab den Anstoß zur Gründung des heutigen Evangelischen Mörike-Gymnasiums und der Evangelischen Diakonissenanstalt Stuttgart. Heute vor 150 Jahren ist sie gestorben.
Charlotte Reihlen wurde am 26. März 1805 geboren. Ab ihrem zwölften Lebensjahr pflegte sie ihre schwerkranke Mutter und übernahm einen Großteil des Familienhaushalts. Sie habe sich abends sogar nur teilweise entkleidet, um der Mutter rasch beistehen zu können.
Mit 18 Jahren heiratete sie den Kaufmann und späteren Zucker-Fabrikanten Friedrich Reihlen. Das Glück der Eheleute war zunächst groß: sie lebten sorglos in der wohlhabenden Unternehmerfamilie und bekamen bald ihr erstes Kind. Einen tiefen Einschnitt im Leben der jungen Mutter bedeutete der Tod ihres zweiten Sohnes. Der zweijährige Julius erkrankte an einer Luftröhrenentzündung und verstarb qualvoll. Charlotte Reihlen verfiel in eine schwere Depression. Sie machte sich Vorwürfe und glaubte, Gott wolle sie für ihren bisherigen, auf „Weltlust“ gerichteten Lebenswandel strafen. In ihrer Not wandte sie sich an Pfarrer Christian Adam Dann von der Stuttgarter Leonhardskirche. Unter seinem Einfluss erlebte sie am 30. Juni 1830 eine innere Befreiung. Es traf sie, wie sie sagte, als sei die Sonne durch die Wolken gebrochen. Die fromme Bürgerin fand ihre geistliche Heimat im Pietismus.
Charlotte Reihlen setzte sich besonders für die Bildung von Mädchen und jungen Frauen ein. Sie hatte für ihre Töchter einen Hauslehrer eingestellt, Friedrich Weidle. Bald sandten auch andere Familien ihre Töchter zum Unterricht ins Haus Reihlen. Das Wohnzimmer wurde allmählich zu klein. Deshalb gründeten einige Väter, unter Federführung von Friedrich Reihlen, 1841 eine private Schule für Mädchen. Aus dem „Weidle’schen Töchterinstitut“, wie man sie nannte, ist das heutige Evangelische Mörike-Gymnasium, hervorgegangen. Seit 1856 lernten über 500 Schülerinnen im eigenen Schulgebäude in der Tübinger Straße. Ebenso initiierte Charlotte Reihlen eine „Dienstbotenschule“, um Mädchen nach der Volksschule eine einjährige hauswirtschaftliche Ausbildung zu ermöglichen.
Charlotte Reihlen lebte persönlich sehr sparsam und einfach. Es ist überliefert, dass Besucher sie wegen ihrer einfachen Kleidung für die Magd des Hauses statt für die Hausherrin hielten. In ihren Aktivitäten verband sie gern die Fürsorge für ärmere Leute mit einem missionarischen Anliegen. So initiierte sie einen Hilfsverein, der ein subventioniertes „Armengesangbuch“ herausbrachte, oder gründete einen Bibelverein, der Bibeln zu erschwinglichen Preisen von Haus zu Haus anbot.
In Kaiserswerth bei Düsseldorf hatte Pfarrer Theodor Fliedner mit seiner Frau Friederike 1836 die erste moderne Diakonissenanstalt gegründet. Durch deren Besuche in Stuttgart erfuhr Charlotte Reihlen davon, und der Gedanke ließ sie nicht mehr los. Verschiedene Ansätze schlugen fehl. Erst als die Evangelische Gesellschaft mit Pfarrer Bührer einen neuen Geschäftsführer bekommen und als sie den Stuttgarter Stiftskirchenprediger Sixt Karl Kapff dafür gewonnen hatte, wurde 1853 ein Gründungskomitee gebildet. Per Anzeige wurden interessierte Bewerberinnen dafür gesucht. Ein Jahr darauf, am 25. August 1854, begannen die ersten Schwestern mit der Arbeit.
Im Jahr 1866 erlebte sie eine doppelte Katastrophe. Im „Deutschen Krieg“ wurden die württembergischen Truppen am 24. Juli bei Tauberbischofsheim von den Preußen vernichtend geschlagen, und als die Nachricht nach Stuttgart kam, erlitt ihr Mann einen schweren Schlaganfall. Die doppelte Todesnähe, daheim und im Feld, bewegte sie zur Ausarbeitung ihres Bildes „Der breite und der schmale Weg“ (nach Matthäus 7,13-14). Die Jesus-Worte wurden schon davor immer wieder in „Zwei-Wege-Bildern“ dargestellt: Der breite Weg, den viele wählen, führt zur Verdammnis; der schmale ins Paradies. Zusammen mit dem Graphiker Conrad Schacher entwarf sie dazu ein Bild mit vielen kleinen Szenen darauf. Jeweils sind die entsprechenden Bibelverse dazugeschrieben. Es ist bis heute eine der bekanntesten Darstellungen des Motivs und hat eine weltweite Verbreitung gefunden. Sie wollte damit dringend zur Umkehr aufrufen.
Vor 150 Jahren, am 21. Januar 1868, ist Charlotte Reihlen gestorben. Auf dem Stuttgarter Fangelsbachfriedhof befindet sich noch heute ihr Ehrengrab.
Beate Dreinhöfer/Friedrich G. Lang