10.02.2023

Polizeiseelsorge setzt das Modell „kritische Solidarität“ um

Landesbischof Gohl hält Festvortrag bei der Bundeskonferenz der Evangelischen Polizeipfarrerinnen und Polizeipfarrer

Stuttgart / Bad Boll. Bei der Bundeskonferenz der Evangelischen Polizeipfarrerinnen und Polizeipfarrer am 8. Februar in Bad Boll hat Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl in seinem Festvortrag darauf hingewiesen, dass die Polizeiseelsorge „zu Unrecht im Schatten anderer Seelsorgedienste der Kirchen stehe“. Gerade hier würde „kritische Solidarität“ in vorbildlicher Weise umgesetzt.

Die Polizeiseelsorge müsse notwendigerweise in ihrem Handeln ethische Fragen und Konflikte einbeziehen. Im Fall der Polizeiseelsorge kreisen diese Konflikte laut Gohl „um die Ausübung legaler Gewalt durch die Polizei und hinterfragen damit das jesuanische Gebot der Friedfertigkeit und Feindesliebe.“ Es gehe darum, wie sich die Arbeit der Polizeiseelsorge in der Institution „Polizei […] von der Polizei abgrenzen lässt und [sie auch] potenzielle Opfer von Polizeigewalt empathisch unterstützen und begleiten kann.“ Gohl beschrieb den Weg, den die Polizeiseelsorge geht, mit der Formel der „kritischen Solidarität“ und führte aus: „Kirchliche Seelsorge weiß um die besonderen ethischen Dilemmata der Polizeiarbeit und ist zu gewaltausübenden Maßnahmen der Polizeiarbeit kritikfähig und kritikbereit, gegenüber den Menschen im Polizeidienst in ihren persönlichen Krisen aber solidarisch verbunden.“

Seelsorge sei „die Muttersprache der Kirche“, zitierte Gohl die Theologin Petra Bosse-Huber und sagte weiter: „In der Sprache, die sie spricht, kommt die Kirche zu sich selbst und […] die Zuwendung zu einem Hilfesuchenden steht im Zentrum kirchlicher Arbeit.“ In der Corona-Pandemie habe sich gezeigt, dass die Gesellschaft an die Seelsorge hohe Erwartungen knüpfe. Gohl forderte eine entsprechende Ausrichtung der Kirchen: „Wenn Seelsorge zur Muttersprache der Kirche erklärt wird, so muss die Kirche diesem Handeln hohe Priorität zuschreiben. Sie muss die Seelsorgeausbildung stärken, ebenso die ökumenische Kooperation. Sie muss bereit sein, weiter an der Notfallseelsorge mitzuwirken. Und sie muss bereit sein, Menschen dort aufzusuchen, wo sie sind: Im Krankenhaus und Pflegeheim, in der Flüchtlingsunterkunft und im Gefängnis.“ Seelsorge müsse sich den gesellschaftlichen Herausforderungen neu stellen und dabei den Zusammenhang zwischen Seelsorge und Ethik neu bedenken.

Polizei und Kirche seien beide Seismografen gesellschaftlicher Veränderungen und stünden in der Verantwortung, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln „angemessen zu antworten.“ In der Seelsorge gehörten deshalb „die Wahrnehmung eines zuweilen hochambivalenten gesellschaftlichen Kontextes und Fragen der Ethik zusammen“.

Landesbischof Gohl illustrierte dies an der biblischen Geschichte über Jesus und Zachäus (Lukas 19,1-10), der sich als Steuereintreiber bereichert hatte und deshalb sozial geächtet war. Man habe diese Erzählung lange als gelungene Bekehrungsgeschichte gelesen. Man könne sie „aber auch als Auseinandersetzung mit den ethischen Dilemmata einer spezifischen Berufsethik lesen. Wieviel ethische Abgründigkeit steckt in meinem Beruf? Kann ich weiter arbeiten, ohne an anderen schuldig zu werden? Wie sieht die Work-Life-Balance zwischen beruflichem Erfolg und Verlust an sozialer Anerkennung aus?“

Die Geschichte sei „prototypisch für eine moderne Seelsorge. Kirche müsse gerade dort zur Seelsorge bereit sein, wo infolge gesellschaftlicher oder berufsethischer Konflikte spirituelle und ethische Orientierungsrahmen einzuspielen sind. Sie sollte sich auf verstärkte Aushäusigkeit einstellen und Menschen dort aufsuchen, wo sie auch unabhängig von kirchlichen Versorgungsstrukturen aufzufinden sind. Und kirchliche Seelsorge rechnet mit Menschen, deren Beruf oder Tätigkeit Ambivalenzen auslöst.“ Jesus nehme die  Probleme ernst: „Er kann das Steuersystem nicht ändern, aber offenbar hat er dem Zöllner geholfen, sein eigenes Verhältnis zu diesem System zu überdenken.“

So werde dieser Fall zum „exemplarischen Seelsorgefall für eine Kirche, die sich ihrer Verantwortung für eine verunsicherte und konfliktreiche Gesellschaft bewusst wird. Eine Kirche, die mit den Leuten spricht und dabei kritisch hinterfragt und zugleich solidarisch handelt.“


Dan Peter
Sprecher der Landeskirche     


Hinweis: Fotos von Landesbischof Gohl finden Sie im Pressebereich unserer Homepage www.elk-wue.de.

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