Stuttgart. Innere Distanz zum christlichen Glauben und die Kirchensteuer sind häufig genannte Motive für einen Austritt aus der evangelischen Kirche, so das Ergebnis einer Pilotstudie. Die württembergische und die westfälische Landeskirche wollten wissen, was hinter den Zahlen zur Mitgliederstatistik steckt, die die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) an diesem Mittwoch (14. Juli) ebenso wie die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht. Deshalb haben sie seit Oktober 2020 insgesamt 464 Telefoninterviews mit Personen geführt, die im Vormonat ausgetreten waren. Der württembergische Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July wies darauf hin, dass Erwartungen an die Kirche in der Corona-Zeit deutlich zu Tage getreten seien, gleichzeitig aber viele ihre Relevanz für das eigene Leben in Frage stellen würden. Der Finanzdezernent der Landeskirche, Oberkirchenrat Dr. Martin Kastrup, setzt auf bessere Informationen zur Verwendung der Kirchensteuer und erteilt Gedankenspielen zu Kirchensteuerrabatten eine Absage.
Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July nannte als eine Erkenntnis aus der Pandemiezeit, dass Menschen Erwartungen an Kirche hätten - dort, wo sie unvertretbar und unersetzbar sei, etwa „bei der Seelsorge, beim Kümmern um Einsame, in der Gemeinschaft im Gottesdienst, in der Diakonie, die handelt und tröstet.“ Gleichzeitig habe sich auch gezeigt, dass Menschen der Kirche den Rücken kehrten, ihre Relevanz für das eigene Leben in Frage stellten, so der Landesbischof. „Wir wollen eine nachgehende und eine fragende Kirche sein, deshalb wollten wir wissen, was Menschen zu der Entscheidung bringt, unsere Landeskirche zu verlassen – und uns damit auseinandersetzen.“
Dafür haben die evangelischen Landeskirchen in Württemberg und Westfalen seit vergangenem Oktober telefonisch im Vormonat Ausgetretene befragt. 61 Prozent der Angerufenen waren zu einem Gespräch bereit, das in Württemberg Pfarrerinnen und Pfarrer geführt haben. Die wissenschaftliche Begleitung der repräsentativen Untersuchung liegt beim Siegener Professor für Praktische Theologie, Dr. Ulrich Riegel.
Bei den Austrittsmotiven ließen sich drei Komplexe unterscheiden, erläuterte Dr. Fabian Peters, in der Landeskirche zuständig für Statistik und Co-Autor der sogenannten „Freiburger Studie“, erste Ergebnisse der Befragung. Dies seien erstens Motive, die sich auf das Handeln der Kirche bezögen, zweitens Motive, die Glaubensverlust oder Indifferenz der Kirche gegenüber ausdrückten sowie drittens Motive, denen eine individuelle Nutzen-Abwägung zugrunde liege. Das Handeln der Kirche spiele fast ausschließlich für Menschen ab 40 Jahren eine Rolle, wenn sie überlegten, aus der Kirche auszutreten. Für die Befragten unter 40 Jahren seien es vor allem der Glaubensverlust und die Nutzen-Abwägung, die den Kirchenaustritt bewirkten.
Die meisten Befragten würden keinen konkreten Anlass für ihren Austritt nennen, so Peters. „Vielmehr erscheint er als Ergebnis eines längeren Prozesses beziehungsweis als Konsequenz aus grundsätzlichen Motiven. Wenn die Befragten von einem konkreten Anlass berichten, handelt es sich meistens um ein aktuelles Thema, z. B. Missbrauch oder das Flüchtlingsschiff, oder um ein persönliches Erlebnis, etwa Ärger mit kirchlichen Mitarbeitenden.“ Dazu gehöre auch, dass die Kirchenmitgliedschaft in der Vergangenheit nicht aktiv wahrgenommen wurde. „Für mich ist es mit der Kirche wie mit einem Fitness-Studio, für das ich Beitrag zahle, aber nie hingehe,“ so einer der Befragten.
Überraschend für Peters: Auch Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, fänden es mehrheitlich wichtig, dass es die evangelische Kirche gibt. Das gelte sowohl für jüngere als auch für ältere Menschen. Am skeptischsten seien in dieser Hinsicht die männlichen Ausgetretenen unter 40 Jahren. Am positivsten werde die evangelische Kirche von den männlichen Ausgetretenen über 40 Jahren betrachtet.
Die Befragung werde weiter fortgesetzt und durch Prof. Riegel wissenschaftlich ausgewertet. Anschließend würden die Daten interessierten Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt.
„Kirchensteuer wirkt“ - Informationsmaterial zur Verwendung der Kirchensteuer
Der Finanzdezernent der Landeskirche, Oberkirchenrat Dr. Martin Kastrup, setzt beim Thema Kirchensteuer auf Aufklärung: „Wir wollen mit unserer neuen Kirchensteuerbroschüre und weiterem Info-Material mehr Transparenz schaffen und insbesondere Menschen, die Kirchensteuer zahlen, zeigen, wozu es Kirchensteuer braucht und was sie mit ihrem Beitrag alles bewirken.“ Auch gelte es richtig zu stellen, dass die finanzielle Belastung durch die Kirchensteuer nicht etwa bei knapp zehn, sondern im Durchschnitt nur bei etwa einem Prozent liege. „Fast die Hälfte unserer Mitglieder zahlt sogar keine Kirchensteuer, da ihre Einkünfte unter der Besteuerungsgrenze liegen.“
Kastrup verwarf Gedankenspiele zu einer reduzierten Kirchensteuer oder gar deren Abschaffung: „Kirche wäre damit nicht mehr in der bekannten Form lebensfähig. Etwa 50 Prozent unserer Einnahmen kommen aus der Kirchensteuer und die Mehrheit der darüber hinausgehenden Mittel lässt sich nur einwerben, weil die Kirchensteuer als Sockelfinanzierung zur Verfügung steht,“ so der Finanzdezernent.
Mitgliederstatistik
Am 31.12.2020 hatte die Württembergische Landeskirche 1.914.425 Mitglieder. Das sind 42.436 weniger als am Stichtag im Vorjahr und entspricht einem Rückgang von 2,2%. Dieser Rückgang ergibt sich zum größten Teil aus der Zahl der Todesfälle, die auf 29.237 gestiegen sind (+4,3%), zum anderen aus der Zahl der Austritte (20.593), die gegenüber 2019 um 14% gesunken ist – damals waren es 24.109.
Aufgrund der Corona-Pandemie haben 2020 deutlich weniger Taufen stattgefunden (9.029). Ebenso ging die Zahl der Aufnahmen auf 1.361 zurück. Die Zahl der Taufen ist besonders in den Monaten März bis Juni 2020 gesunken, also während des ersten „Lockdowns“. Diese Monate waren im Jahr 2019 die Monate mit den meisten Taufen.
Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche
Hinweis: Die digitale Version der Kirchensteuerbroschüre sowie weitere Infos zum Thema Kirchensteuer finden Sie unter www.elk-wue.de/kirchensteuer.