14.11.2010

"Aus der Geschichte lernen"

Auszüge aus der Rede von Landesbischof July zum Volkstrauertag

Bei der zentralen Gedenkfeier des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge zum Volkstrauertag sagte Landesbischof Frank Otfried July am 14. November in Stuttgart: "Wer die Geschichte nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen". Im Folgenden Auszüge aus der Rede:

[...] Der Volkstrauertag ist uns Anlass, uns zu besinnen auf diese Trauer und auf geschichtliche und persönliche Trauererfahrung und auf die Verantwortung, zu der uns die Geschichte mahnt. Für Christen ist die Vergangenheit nicht ein abgetanes Gewesenes, sondern sie ist eine Größe, die die Gegenwart prägt. Gegenwart lässt sich nur gestalten, Zukunft sich nur bewältigen, wenn wir die Vergangenheit in unser Leben integrieren. Dabei ist wichtig: das individuelle Leben wird ebenso wie das gemeinsam-gesellschaftliche Leben geprägt von Unterbrechungen. Leidvolle Unterbrechungen stören die Normalität des Lebens. Auf individueller Ebene sind es die Erfahrungen von Krankheit und Tod, aber auch von Einwirkungen der Gewalt. Auf der kollektiven Ebene ist die Gewalt das Entscheidende: Machtkämpfe und Kriege, Vertreibungen und Unterdrückungen prägt die Geschichte und füllt die Geschichtsbücher. Die Spirale der Gewalt beeinträchtigt die Entwicklung von Individuen, von Familien, von Völkern und der Weltgemeinschaft.

"Wer die Geschichte nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen." Ich bin dem VdK dankbar, dass er die Geschichte nicht ruhen lässt, sondern im Auftrag der Bundesregierung daran arbeitet, Geschichte lebendig zu halten. Er tut dies nicht nur durch Aufklärung, die den Verstand anspricht, durch die abstrakte Stärkung des Geschichtsbewusstseins, sondern durch ein aktives Tun. Das Gedenken an die Opfer wird konkret im Pflegen ihrer Gräber. Das tun Sie in 2 Mio. Fällen auf 820 Friedhöfen.

Trauer braucht Orte des Gedenkens. Sie tun auf kollektiver Ebene, was individuell oft vergessen wird. Die Bestattungskultur wandelt sich: War es noch vor wenigen Jahren selbstverständlich, dass fast alle Toten einen sichtbaren, mit Namen gekennzeichneten Ort auf einem Friedhof haben, nehmen heute die anonymen Bestattungen zu. Menschen wünschen sich diese Form, weil sie keine näheren Verwandten mehr haben oder diesen die Last der Grabpflege nicht zumuten wollen. Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass nach wenigen Jahren die Hinterbliebenen unter der Entscheidung leiden. Was zum Zeitpunkt der Beerdigung vernünftig schien, erweist sich im Nachhinein für die Seele als falsch.
Trauer braucht einen Ort, an dem sie sich festmacht. Dieser Ort ist für Familien und Freunde das individuelle Grab. Für die Gemeinschaft, für das Volk als Ganzes sind es die Friedhöfe und Gedenkstätten, um die Sie sich bemühen. Trauer braucht auch Zeiten, an denen sie laut werden darf. Deshalb brauchen wir die Gedenktage. Sie erinnern uns an die eigene Vergänglichkeit, an unsere eigene, begrenzte irdische Zukunft. Als kollektiver Gedenktag erinnern sie uns an die jüngere Geschichte, unseres Landes, unseres Volkes. Sie gemahnen uns an die Verantwortung, die wir vor unserer Geschichte haben, vor unseren Toten, aber auch vor unseren Kindern.

Jugendliche fragen: "Wozu Volkstrauertag"? Vielleicht können sie nicht viel anfangen mit diesen Zusammenhängen. Aber sie ahnen, dass eine zusammenwachsende Welt neue Gefahren derselben Kategorie bietet. Auch aus unserem Bundesland sind in den letzten Jahren Soldaten verletzt und getötet worden. Anders als die Soldaten des 2. Weltkrieges sind sie nicht für eine menschenverachtende Ideologie geopfert worden, sondern sie sind ausgezogen, um im Rahmen eines UN-Mandates einem geplagten und geschundenen Volk zu helfen. Ihr Leben soll nicht vergebens gegeben worden sein. Und doch: der Krieg und seine grausame Fratze tritt uns entgegen,  auch in unserem Land. Es bleibt unsere Aufgabe, für den Frieden einzustehen, der nach biblischem Verständnis mehr umfasst als die Abwesenheit des Krieges.

Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen aber auch Klarheit über ihr Mandat und Klarheit darüber, unter welchen Bedingungen dieses Mandat endet. Dies sind wir ihnen als Gesellschaft schuldig.
Das hebräische Wort „Schalom“ bedeutet mehr als "Abwesenheit von Krieg". Es kommt von einer Wurzel, die zunächst einmal Ganzheitlichkeit bedeutet, auch die Gesundheit des menschlichen Leibes. Letzten Endes meint es auch das endzeitliche Friedensreich Gottes, in dem kein Krieg, keine Krankheit, kein Leid und kein Tod mehr sein werden. Unser Tun und Engagement kann dieses Reich nicht aufbauen, denn es ist Gottes Reich, aber wir können jeder und jede an seinem / ihrem Ort unser Teil dazu beitragen. Wir dürfen unser hartnäckiges Frage und Streben nach dem Frieden nicht aufgeben.

Ein zweites, was mich in diesem Jahr besonders beschäftigt, ist unser Umgang mit Migrantinnen und Migranten. Was in den Zeiten des 2. Weltkrieges Folge eines von Deutschen und im deutschen Namen begonnenen Krieges war, hat heute andere Ursachen. Menschen verlassen aus verschiedenen Gründen ihre Heimat, sind vertrieben, entwurzelt, heimatlos. Damals kamen aus den früheren Ostgebieten Menschen in unser Bundesland, die mit den Einheimischen viel gemeinsam hatten: Sprache, Religion...

Sie waren fremd und sind heute nach zwei, drei Generationen voll integriert. Die Menschen, die heute zu uns kommen, haben schlechtere Startvoraussetzungen. Sie stammen aus anderen Kulturen, sprechen andere Sprachen, sind oft nicht Christen. Es wird viel darauf ankommen, wie wir ihnen begegnen. An diesem Punkt kann sich zeigen, was wir aus der Geschichte gelernt haben. Es liegt auch an uns, die Aufspaltung der Gesellschaft in eine Vielzahl von Subkulturen zu verhindern. Eine Lehre aus der Kriegs- und Nachkriegszeit mag es sein, den Fremdling nicht zu verachten, sondern ihm die Chance zu bieten, sich zu integrieren.

Ein drittes: Kirche und VdK wissen sich einig darin, dass eine Kultur des Gedenkens und der Verantwortung ein Wächteramt für die Gesellschaft einschließt. Geschichtswissenschaft und Friedensforschung haben deutlich herausgearbeitet, wie Konflikte innerhalb einer Gesellschaft, wie Kriege und Vertreibungsaktionen entstehen. Es geht darum, dieses Wissen nicht nur passiv aufzunehmen, sondern aktiv anzuwenden.

Gedenken und Innehalten heißt auch, Zeitströmungen wahrzunehmen und in Kontexte stellen. Das kann auch einmal heißen: Position für die zu nehmen, die sich selbst nicht wehren können. Die Stimme für die äußern, die keine Lobby haben.

Wenn Jugendliche fragen: "Wozu Volkstrauertag?", kann dies eine Antwort sein. Wir wollen aus der Geschichte lernen, um euch Erfahrungen zu ersparen, die Generationen vor euch machen mussten, weil sie durch Verantwortungslosigkeit verursacht wurden. Wir wollen euch ein Land hinterlassen, das die Probleme von Migration und Vertreibung nicht wegschweigt, sondern anpackt. Wir wollen euch eine Zukunft vorbereiten, die getragen ist von Werten und Hoffnungen, die VdK und christliche Kirchen gemeinsam haben: Frieden, Verantwortung, eine Kultur des Gedenkens und der Solidarität.

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