Stuttgart/Biberach an der Riß. Die Synode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg hat am Donnerstag der Deportation von Sinti und Roma vor 70 Jahren gedacht. Dazu sprachen vor der Landessynode Daniel Strauß vom Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg, sowie Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July. Zuvor feierten die Synodalen und ihre Gäste einen Gottesdienst in der Biberacher Stadtkirche, die als „Simultankirche“ von katholischer und evangelischer Gemeinde genutzt wird.
In seiner Ansprache vor den 99 Landessynodalen wies der Vorsitzende des baden-württembergischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, Daniel Strauß, darauf hin, dass Protestanten und Katholiken in der Zeit des Nationalsozialismus seiner Volksgruppe nicht ausreichend zur Seite gestanden hätten. Ein Aufschrei sei ausgeblieben, als vor 70 Jahren die Deportation von Sinti und Roma im Südwesten begann. Dabei seien 80 Prozent der von den Nationalsozialisten getöteten Sinti und Roma katholisch gewesen, die übrigen meist evangelisch. Strauß mahnte Defizite auch in der Gegenwart an und zitierte aus einer aktuellen Studie zu Antiziganismus. Ihr zufolge sagen mehr als 40 Prozent der deutschen Bevölkerung, sie hätten Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in ihrer Gegend aufhielten. Fast 28 Prozent stimmten der Verbannung von Sinti und Roma aus den Städten zu. Mehr als 44 Prozent unterstellten ihnen, zu Kriminalität zu neigen. Wenn ähnliche Einstellungen gegenüber Juden geäußert würden, so Strauß, gäbe es einen Aufschrei. Als ermutigend bezeichnete Strauß, dass das Bundesland Baden-Württemberg das Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus aufrechterhalte, und begrüßte, dass in diesem Jahr eine dem Vertrag mit den israelitischen Kultusgemeinden ähnliche Vereinbarung des Bundeslandes mit Sinti und Roma abgeschlossen werden soll.
Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July nannte das Gedenken den Beginn eines Weges miteinander und nicht etwa den Abschluss eines rituellen Gedenkens. July rief zu einer differenzierten Debatte innerhalb der Europäischen Union auf: „In den letzten Wochen sind zur Frage der Situation von Sinti und Roma in Ländern wie Bulgarien und Rumänien und der Herausforderung durch mögliche und tatsächliche Wanderungsbewegungen nach Deutschland leider wieder viele Klischees hervorgeholt worden. Jede und jeder von uns sollte die Aneinanderreihung von Klischees und Vorurteilen bestreiten. Sie vergiften die Debatte und verbauen das gelingende Zusammenleben in der Zukunft.“ July appellierte, „diese Stigmatisierungsgeschichte ein für alle Mal zu beenden“.
Abschließend bat der Landesbischof um Vergebung und entzündete eine Kerze: „Vor 70 Jahren haben Menschen in Deutschland, darunter auch viele Christen, sich in den Dienst des Bösen nehmen lassen und selbst Böses getan. Auch die christlichen Kirchen haben an Diskriminierung und Schuldverflechtung ihren Anteil. Wir verneigen uns vor den Opfern und bitten Gott den Herrn: Vergib uns unsere Schuld."
Die Landessynode tagt noch bis Samstag, 16. März, in Biberach an der Riß in der Stadthalle. Themen sind unter anderem die Bildungsverantwortung der Landeskirche, die theologische und rechtliche Stellung von Diakoninnen und Diakonen, Inklusion sowie der Nachtragshaushalt 2013, der „Pfarrplan 2018“ und das Gesetz über den Zusammenschluss der evangelischen Kirchenbezirke Bad Urach und Münsingen.
Am Freitagabend veranstaltet der Kirchenbezirk Biberach einen „Abend der Begegnung“ im Martin-Luther-Gemeindehaus in Biberach.
Zuletzt hatte die Landessynode 1998 in Biberach getagt. Die 99 Synodalen (einschließlich der vier Jugendsynodalen) vertreten die knapp 2,2 Millionen Mitglieder der württembergischen Landeskirche. Diese ist die einzige Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), deren Landessynodale direkt von den Gemeindemitgliedern gewählt werden. Zu ihren Aufgaben zählen die kirchliche Gesetzgebung, der Beschluss über den landeskirchlichen Haushalt und die Kirchensteuer sowie die Wahl des Landesbischofs. Eine Wahlperiode der württembergischen Landessynode dauert sechs Jahre. Die nächste Synode wird gemeinsam mit den Kirchengemeinderäten am 1. Dezember 2013 gewählt.
Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche
Eine zusammenfassende Meldung zur Landessynode planen wir für Samstag, 16. März, gegen 14:30 Uhr.