Stuttgart/Bad Mergentheim. In Bad Mergentheim hat die Sommersynode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg begonnen. Dabei beschäftigten sich die Synodalen in einer „aktuellen Stunde“ mit der in den Medien breit diskutierten Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesensein – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Landesbischof July erneuerte sein Lob für die gründliche Analyse und Bestandsaufnahme der Familienverhältnisse in Deutschland, bekräftige jedoch seine inhaltliche Kritik und die Anregung, einen breit angelegten Konsultationsprozess zu organisieren.
Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July betonte, die evangelische Kirche sei eine Kirche der Freiheit auch zur Diskussion, in der nicht gelte, dass die EKD spreche und die Auseinandersetzung damit beendet sei. Er verwies darauf, dass er den Darstellungsteil der Orientierungshilfe ausdrücklich anerkenne. „Er nennt wichtige Gedanken und offene Fragen, die wir bearbeiten müssen. Wir werden uns diesen Fragen auch stellen.“ Gleichzeitig bekräftigte er seine Kritik, dass bei so schwergewichtigen Fragen der Vorlauf und das Verfahren hätte anders sein müssen. Ebenso kritisierte er die theologischen Begründungen. Man habe sich „fast weggeduckt vor theologischer Argumentation.“ Ein Konsultationsprozess könne mit der Akademie Bad Boll organisiert werden, so der Landesbischof.
Zuvor zeigte eine sachlich geführte Diskussion die unterschiedlichen Einschätzungen der Orientierungshilfe und des in ihr vertretenen Familienbildes. Der Tübinger Synodale Dr. Harald Kretschmer lobte die Orientierungshilfe als „inspiriert sowohl vom Heiligen Geist wie auch vom Geist der Zeit, vom gescholtenen Zeitgeist. Nirgendwo darin lese ich von Beliebigkeit von Ehe und Familie.“ Anita Gröh, Synodale aus Geislingen, befürchtete, Kritiker der Orientierungshilfe liefen Gefahr, auszugrenzen. „Es wird ausgegrenzt, was nach dem eigenen Weltbild nicht reinpasst.“ Pfarrer Steffen Kern (Walddorfhäslach) nannte die Orientierungshilfe „gut gemeint“. Das allein genüge für eine Orientierungshilfe aber nicht: „Die Orientierungshilfe ist theologisch äußerst dürftig, politisch äußerst einseitig, ökumenisch äußerst belastend.“ Der Crailsheimer Dekan Dr. Wilfried Dalferth forderte beim Thema Familie, man solle „nicht von den Erwachsenen, sondern von den Schwachen, von den Kindern her denken, die Lebensraum und Schutz brauchen.“ Volker Teich, Dekan in Schorndorf: „Als Mitglied der EKD-Synode habe ich diese Orientierungshilfe gelesen und bin enttäuscht über die Oberflächlichkeit und entsetzt über die Orientierungslosigkeit meiner EKD“. Man solle die EKD bitten, dieses Papier zu überdenken, zurückzunehmen oder einzustampfen. Die Heidenheimerin Eva Glock, wie Volker Teich auch Mitglied der EKD-Synode, begrüßte dagegen die Veröffentlichung: „Die Orientierungshilfe erweitert den Familienbegriff über die Ehe hinaus. Sie macht die Ehe stark. Und wir müssen uns als Kirche wirklich fragen lassen: Wo sind wir inklusive, milieusensible Kirche?“ Diakon Markus Munzinger nannte die Orientierungshilfe eine gute Analyse zur Situation von Familien in unserer Gesellschaft „mit einer Fülle von Informationen zu sozialen, rechtlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, aber deutlichen Schwächen in der theologischen Argumentation. Dieser Mangel im Umgang mit der Bibel mag auch der Zusammensetzung der Kommission und dem Verfahren der Entstehung der Denkschrift geschuldet sein.“
Am Donnerstagnachmittag beschäftigen sich die Synodalen noch mit der Personalstrukturplanung, der mittelfristigen Finanzplanung sowie dem 2. Nachtragshaushalt 2013.
Zum Start in den Tag hatten die Synodalen und ihre Gäste einen Gottesdienst in der Schlosskirche gefeiert, der thematisch die Inklusion, das Schwerpunktthema der Synodaltagung, vorzeichnete. In seiner Predigt forderte der württembergische Diakoniechef Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, dass Inklusion in der Kirche selbstverständlich werde und das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung nichts Besonderes mehr sei. Es gehe nicht nur um abgesenkte Bordsteine für Rollstuhlfahrer. „Die wesentlichen Barrieren liegen in Herz und Sinn.“ Die Sprache in Predigten müsse einfach und bildhaft sein. Davon würden auch die anderen Gottesdienstbesucher profitieren – niemand beschwere sich über leichte und bilderreiche Sprache in Predigten. Musikalisch begleitet wurde der Gottesdienst u. a. von der inklusiven Instrumentalgruppe der Alois-Eckert-Werkstatt.
Ein „Abend der Begegnung“ wird den Donnerstag beschließen. Die Landessynode tagt noch bis Samstag, 6. Juli im nördlichsten Kirchenbezirk der Landeskirche, dem Dekanat Weikersheim. Am Freitag widmen sich die Synodalen schwerpunktmäßig dem Thema Inklusion. Außerdem wird es um den Diakonat gehen.
Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche