Eningen unter Achalm. In seinem Impuls zum heutigen Karfreitag geht Pfarrer Johannes Eißler der Frage nach, warum dieser stille Feiertag in Wahrheit ein „Good Friday“ ist.
„Warum lässt Gott das alles zu?“ Diese Frage ist so alt wie die Menschheit und ganz befriedigend wird sie nicht beantwortet werden. Bei einem Besuch kürzlich waren wir wieder bei dieser Frage: Warum lässt Gott das zu – dass ein Enkelkind quietschfidel ist und das andere schwerstbehindert.
Die Fragen stellen sich unweigerlich: Warum dieses Virus? Warum die kranken Flüchtlingskinder auf Lesbos? Warum so viel namenloses Elend?
Der ältere Herr, mit dem ich dieses Gespräch führte, sagte irgendwann: „Und warum lässt dieser Gott seinen eigenen Sohn sterben?“
In so vielen Kirchen haben wir dieses Bild vor Augen – über dem Altar oder oben im Chorbogen: Jesus, der Sohn Gottes, gekreuzigt, gehängt. Schreckliche Foltermethode der Römer, um Aufstände im Keim zu ersticken. Und wir fragen uns: Brauchte es ein Opfer, um Gott gnädig zu stimmen? Musste Jesus sterben, um damit eine Rechnung zwischen uns und Gott zu begleichen?
Paulus schreibt: „Gott war in Christus und versöhnt die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unser uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“
„Gott war in Christus“, sagt der Apostel. Gott war nicht irgendwo im Himmel an einem sicheren Ort. Gott war nicht im Homeoffice, während Jesus verhaftet, gefoltert und getötet wurde. Gott ist immer schon mit dabei – wenn Jesus Wasser zu Wein macht, wenn er Kinder segnet, wenn er Aussätzige berührt, wenn er sich die Schürze umbindet.
Wer Jesus sieht, sieht den Vater – da passt kein Papier dazwischen.
Martin Luther sagte: „Das Kreuz stellt alles auf die Probe – crux probat omnia“ (Psalmenvorlesung, Exkurs zu Psalm 5).
Dieses Kreuz prägt und prüft meinen Glauben und mein Denken. Das Aufschauen auf den Gekreuzigten läutert mich und hilft mir, wegzukommen vom Stacheln-stellen, vom Panzer-wachsen-lassen, vom Zurückschlagen-wollen. Es ist wie eine tägliche Arznei, die dazu beiträgt, gesund zu werden. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber es macht einen Unterschied, ob wir uns dem Kreuz aussetzen oder nicht.
Ich sehe in diesem Jesus den Gottessohn, der bis zuletzt nicht die Fäuste ballt, sondern uns mit ausgestreckten Armen begegnet. Ich sehe im Gekreuzigten den, der sich lieber unschuldig schlagen lässt als gewalttätig zu werden. Ich erkenne in den brutal angenagelten Händen die segnende Geste. Und so trägt das Kreuz für mich nicht mehr allein die Überschrift „Hinrichtung“, auch nicht allein die Überschrift „Es muss Gerechtigkeit wiederhergestellt werden“, sondern die neue, große Überschrift „Versöhnung“.
Aus diesem Grund ist der Karfreitag für mich nicht nur ein trauriger Gedenktag, sondern ein Festtag. „Good Friday“, sagen die Engländer.
Ich schließe mit Versen von Jürgen Werth und grüße Sie aus der Eninger Andreaskirche:
Wie ein Fest nach langer Trauer, / wie ein Feuer in der Nacht,
ein offnes Tor in einer Mauer, / für die Sonne aufgemacht.
Wie ein Brief nach langem Schweigen, / wie ein unverhoffter Gruß,
wie ein Blatt an toten Zweigen, / ein „Ich-mag-dich-trotzdem-Kuss“.
So ist Versöhnung. So muss der wahre Friede sein.
So ist Versöhnung. So ist Vergeben und Verzeihn.
(Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe Württemberg, 660, 1).
Pfarrer Johannes Eißler
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