Stuttgart/Berlin/Aleppo. Er ist das Oberhaupt der armenisch-evangelischen Kirche Syriens: Pfarrer Haroutune Selimian aus Aleppo ist derzeit Gast des Gustav-Adolf-Werks (GAW). Er berichtet über die oft verheerenden Zustände in seiner kriegsgeplagten Heimat, über die Nöte der Flüchtlinge - und er wird in wenigen Tagen nach Aleppo zurückkehren: Es sei seine Aufgabe, den Menschen vor Ort beizustehen - und gemeinsam mit ihnen einen Neubeginn in Frieden vorzubereiten.
Zusammen mit GAW-Generalsekretär Enno Haaks war Haroutune Selimian in dieser Woche im Stuttgarter Hospitalhof; am Sonntag wird er gemeinsam mit EKD-Prälat Martin Dutzmann einen Gottesdienst im Berliner Dom feiern. All dies tut er unter dem Eindruck einer sich verschärfenden Flüchtlingskrise im Nahen Osten und im östlichen Mittelmeerraum.
Dem jüngst zwischen den Präsidenten Russlands und der Türkei, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan, vereinbarten Waffenstillstand für das 70 Kilometer von Aleppo entfernte Idlib traut Selimian nicht. In dem inzwischen seit neun Jahren tobenden Bürgerkrieg sei es nicht die erste Waffenruhe. Stets sei nach kurzer Zeit wieder geschossen, vertrieben und getötet worden.
Dass der türkische Staatschef nach Selimians Informationen Flüchtlinge gezielt an die Grenze bringen und von dort ins EU-Land Griechenland weiterziehen lässt, verschärfe die Gesamtsituation noch. „Menschen werden als Waffen missbraucht“, kritisiert GAW-Generalsekretär Haaks und ist sich in dieser Einschätzung mit dem württembergischen Kirchenrat Klaus Rieth einig. Gegenüber elk-wue.de hatte Rieth sogar von menschlichen „taktischen Waffen“ gesprochen, die Erdogan gegen die EU einsetze.
Das Gustav-Adolf-Werk und die evangelischen Kirchen vor Ort versuchen zwar, den Menschen nach Kräften zu helfen: In Griechenland gehe es vor allem um Hilfe in den überfüllten Lagern. Und in Syrien um Unterstützung für jene, die trotz der Kämpfe ausharren: So müssten unter anderem zerstörte Schulen und Hospitäler wieder aufgebaut werden. „Aber allmählich sind die Helfer am Ende ihrer Kräfte“, beschreibt GAW-Generalsekretär Haaks die Situation.
Ohnehin handele es sich bei der griechisch-evangelischen genauso wie der armenisch-evangelischen Kirche Syriens um kleine Kirchen mit beschränkten Mitteln. Bei den Syrern kommt erschwerend hinzu: Die Christen werden immer weniger. Betrug ihr Bevölkerungsanteil vor Ausbruch des Kriegs etwa zehn Prozent, liege er inzwischen höchstens bei drei bis vier Prozent. Pessimistische Schätzungen gehen gar nur noch von einem Prozent christlicher Bevölkerung aus.
Pfarrer Haroutune Selimian in der Bethel-Kirche in Aleppo.
Trotz aller dramatischen Schwierigkeiten glaubt Pfarrer Selimian fest daran, dass das Christentum auch weiterhin einen Platz im Bürgerkriegsland haben wird: In allen Jahrhunderten habe es „so vielen Angriffen und Kriegen getrotzt“. Wobei dem Theologen wichtig ist zu betonen, dass bis zum Ausbruch des Krieges 2011 ein friedliches Zusammenleben zwischen allen Bevölkerungsgruppen und Religionen geherrscht habe - er nennt Syrien den Ursprungsort sowohl des Christentums als auch des Islams. Erst während des Bürgerkriegs und dann auch geschürt durch Terror-Organisationen wie den IS oder die Al-Nusra-Front sei es zum Bruch gekommen.
Unterdessen hat sich der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh am Freitag in einem offenen Brief an alle Pfarrerinnen und Pfarrer seiner Kirche gewandt und dazu aufgerufen, „für Frieden in Syrien und Schutz und Zuflucht für Flüchtlinge in der Türkei und Griechenland zu beten, mit Kommunalpolitikern über die Möglichkeit der gemeinsamen Hilfe zu sprechen und Projekte der Diakonie-Katastrophenhilfe zu unterstützen“.
GAW-Generalsekretär Haaks mahnt jedoch noch mehr an: Auch die Kirchen in Deutschland müssten über die Akut-Hilfe hinaus denken. So richtig es sei, ein Schiff zur Rettung von schiffbrüchigen Flüchtlingen ins Mittelmeer zu entsenden, so notwendig sei es auch, den Geretteten eine Zukunftsperspektive in menschenwürdígen Verhältnissen zu bieten.
Der württembergische Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July unterstützt in diesem Zusammenhang die in der vergangenen Woche verabschiedete „Erklärung von Lesbos“; zuvor hatten sich Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland, von Kommunen und der Hilfsorganisation Seebrücke ein Bild von den Zuständen in griechischen Flüchtlingslagern gemacht.
In der Erklärung heißt es unter anderem: „Wir sind Zeugen unhaltbarer Zustände: Menschen müssen in bitterer Kälte schlafen. Hygiene gibt es nicht. Es fehlt an medizinischer Versorgung, an Nahrungsmitteln, dem Allernötigsten zum Überleben.“
Siegfried Denzel
Das Gustav-Adolf-Werk (GAW) als Diasporawerk der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde 1832 gegründet und ist das älteste evangelische Hilfswerk in Deutschland. Es arbeitet mit rund 50 Partnerkirchen in Europa, dem Nahen Osten, Lateinamerika und Asien zusammen. Präsidentin ist die Ulmer Prälatin Gabriele Wulz.